Elon Musk, Oprah Winfrey, Michael Jordan, König Charles – was diese Personen miteinander verbindet? Sie alle wurden vom "Time"-Magazin zu den einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2023 gewählt. Menschen, die mit ihren Leistungen, ihrem Engagement und ihrer Einstellung einen Unterschied in der Welt machen. Ebenfalls auf dieser Liste zu finden: Mikaela Shiffrin. "Mit dem Abgang von Serena Williams aus dem Tennissport ist nun Platz für eine neue, große Sportlerin und einen weltweiten, weiblichen Superstar – und Mikaela kann diese Chance nützen", schrieb eine gewisse Lindsey Vonn damals im Magazin.

Die Veröffentlichung samt Gala liegt zwar schon Monate zurück, sorgt bei der sonst so souveränen Shiffrin aber nach wie vor für Gänsehaut und zittrige Stimme. "Das war für mich damals schwer zu begreifen. Und das  ist es eigentlich immer noch", sagt die US-Amerikanerin. Auf der "Times"-Gala in New York zog sie gemeinsam mit Partner Aleksander Aamodt Kilde die Blicke auf sich; eben nicht nur der Ski- und Sportwelt. Shiffrin  selbst kann aber mit dieser Art Interesse nicht viel anfangen, würde besagte Blicke lieber auf die Probleme dieser Welt gerichtet sehen. "Dort gab es auch Preisträger aus der Ukraine, die Tag für Tag gegen Bedrohung und Gewalt kämpfen. Diese Menschen leisten viel mehr, als ich es je könnte."

Kein Platz für Eitelkeiten

Starke Worte einer starken Frau, die in den vergangenen Jahren eine unglaubliche Entwicklung genommen hat – auf und abseits der Strecke. Vom Wunderkind, das dem Druck der internationalen Presse nicht immer standhielt, zur Führungspersönlichkeit eines gesamten Sports und zur erfolgreichsten Skifahrerin aller Zeiten. Aber auch zu einer Kämpferin für Themen, die im Sport oftmals zu kurz kommen. Beispiele? In der Vorsaison entwickelte sich aus einer fehlerhaften Übersetzung im ORF, als der "weibliche Zyklus" (monthly cycle, Anm.) mit Radfahren übersetzt wurde, eine Kampagne, die die Herausforderungen, denen sich Frauen während des Zyklus zu stellen haben, sichtbarer machen sollen. Vor allem aber sollte der weibliche Zyklus und das Reden über ihn enttabuisiert werden.

Shiffrins großer Trumpf: Wie auf den Slalomstrecken dieser Welt schafft die 28-Jährige es auch auf "sprachlichem Glatteis", die perfekte Balance zu bewahren. Sie versteht es, Kritik an Gesellschaft und Systemen zu üben, ohne dabei persönlich zu werden oder Attacken gegen bestimmte Personen zu reiten. Die US-Amerikanerin nützt die ihr zuteil werdende  Aufmerksamkeit nicht zum Ausleben persönlicher Eitelkeiten, sondern zur Problemlösung.

Auch bei anderen, heiklen Themen, zu denen die 88-fache Weltcupsiegerin trotz Konfliktpotenzials immer wieder klar Stellung bezieht und Kante zeigt. "Ich bin zwar keine Expertin, aber ich weiß genug, um zu sagen, dass es keinen Sinn macht, was wir jetzt tun", sagt sie etwa angesprochen auf das Oktoberrennen am noch grauen Gletscher in Sölden: "Jetzt ist nicht die Zeit für Skirennen."

Dabei wird die 28-Jährige nicht müde zu betonen, wie dringend es gemeinsame Lösungen im alpinen Ski-Zirkus bräuchte. FIS, Organisatoren und Athleten – eine Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz gebe es nur mit Kooperation aller Parteien. "Wir würden gerne reden, aber dafür braucht es alle. Die bisherigen Änderungen gehen nicht weit genug, außerdem fehlt die Transparenz", klagte Shiffrin, die Änderungen im Rennkalender fordert.  

Denn nicht nur optisch tut sich ein trauriges Bild am Gletscher auf, auch sportlich wird das Eis immer dünner. Trainingsmöglichkeiten im alpinen Raum gebe es kaum noch. "Wir haben in Europa vielleicht zwei, drei Gletscher, auf denen der ganze Weltcupzirkus und der Nachwuchs einen Weg und Platz zum Trainieren finden sollen."

Neue Trainerin

Ihr Vorbereitungstraining in Chile absolvierte die fünffache Gesamtweltcupsiegerin im Sommer in abgeänderter Konstellation. Die in Norwegen geborene und in den Staaten aufgewachsene Karin Harjo wechselte vom kanadischen Verband ins Team des alpinen Superstars. "Sie hat enorme Erfahrung, auch im analytischen Bereich. Ich will einfach mit Leuten zusammenarbeiten, die es richtig gut machen, egal ob Mann oder Frau." Im männerdominierten Ski-Zirkus sind Cheftrainerinnen weiterhin eher Ausnahme als Regel, was für Shiffrin aber kein großes Problem darstellt: "Es sind sicher mehr Männer dabei, das ist aber kein Problem, solange die Arbeit gut gemacht wird. Mit dem Schritt, Karin zu verpflichten, wollten wir aber sicher zeigen, dass es auch für Frauen eine Plattform und einen Weg gibt. Auch auf dem Trainer- und Funktionärssektor."

"Ausweichschwünge" bei heiklen Themen gibt es bei der 28-Jährigen also nicht. Und auch den Spaß verliert sie trotz Weltcupstress, Galanächten, Kampagnen und Medienterminen nicht. Auf Instagram hat sie mehr als eine Million Follower, die bestens unterhalten werden. Zuletzt mit einem Tanzvideo, in dem mit Herzblatt Kilde zu den Klängen von ABBA getanzt wurde. "Musik spielt einfach eine große Rolle in meinem Leben. Sie ist Ausdruck einer Gesellschaft und von Kultur. Menschen machen seit Ewigkeiten Musik", sagt sie dazu. Shiffrin selbst schlüpfte bei einem Charity-Event selbst in die Rolle des Rockstars, sang mit US-Country-Star Dierks Bentkley ein Duett auf der Bühne. Ob es bei solchen Auftritten auch Parallelen zum Skisport gibt? "Ich denke schon, zumindest bei mir. Im Rennen versteife ich meine Hände immer, wenn ich die Skistöcke halte. Und das passiert mir leider beim Tanzen auch."