Mitten in einer der größten Ergebniskrisen des ÖSV steht nun die WM in Courchevel/Meribel vor der Tür. Was kann Österreich dort unter diesen Voraussetzungen überhaupt ausrichten?
Hans Knauß: Ganz ehrlich? Ich glaube, wir werden überraschen. Die Erklärung dazu ist auch einfach: Es sind viele Athletinnen und Athleten dabei, die in dieser Saison schlicht nichts mehr zu verlieren haben. Die brauchen sich keinen Druck machen, sondern können einfach befreit runterfahren.
Was stimmt Sie da so positiv?
Als große Skination, wo das Interesse so enorm ist, ist es eigentlich leichter zu jagen, als gejagt zu werden. In dieser Situation können viele Athleten nur gewinnen, haben keinen Druck.
Speziell bei den Technik-Damen sprechen die Resultate absolut nicht dafür, dass bei der WM etwas herausschauen könnte. Wie kann der Faden so reißen?
Ich denke schon, dass in den letzten Jahren vielleicht die einen oder anderen Techniktrends einfach auch übersehen worden sind. Die haben sich optisch nicht verändert, obwohl sich die Technik verändert hat. Jetzt brennt der Hut, es wirkt, als wären sie ein bisschen stehen geblieben. Aber was bringt draufzuhauen? Gar nichts. Sie müssen schauen, dass sie wieder auf ihr Niveau kommen und das geht nur über Selbstvertrauen, dann kommen auch die Stärken zurück. Und eines ist auch klar: Sie haben ja das Skifahren grundsätzlich nicht verlernt.
Besser läuft es bei den Herren, auch wenn im Speedbereich fast alles an Vincent Kriechmayr zu hängen scheint. Nach dem Rücktritt von Matthias Mayer und der schweren Verletzung von Max Franz scheint nur mehr er als Medaillenhoffnung übrig ...
Diese Ausfälle sind ganz große Verluste. Vor allem der "Mothl" war bei Großereignissen immer extra gut drauf. Sein Rücktritt hat genau zu ihm gepasst, ich dachte mir nur: "Typisch Mayer, geht da runter, wenn gerade wenig los ist und sagt das einfach. Danach ist er ohne Theater ins Auto gestiegen und abgereist." Natürlich haben wir bei der WM einen Vinc, der schon Rennen gewonnen hat. Aber auch einen Daniel Hemetsberger, der immer frecher wird und Selbstvertrauen aufgebaut hat. Ein Überraschungskandidat.
Favoriten sind andere. Werden Shiffrin, Odermatt, Kilde und Co. ihre Medaillen auch "abholen"?
Das ist ein Paket an Athletinnen und Athleten, die uns einfach vom Hocker hauen und es spricht nichts dagegen, dass es nicht dort auch so sein wird. Aber es ist heute alles so knapp zusammen, es kann alles passieren und Überraschungen sind ja immer lässig.
Gesetzt den Fall, das ÖSV-Team überrascht in Frankreich wirklich alle, kann das dennoch nicht über gegenwärtige Probleme hinwegtäuschen. Was muss beim ÖSV passieren?
Ich habe dort das Gefühl, dass es wichtiger wäre, die Trainingsgruppen zusammenzubringen. Wir schaffen es nicht, die Athleten aus der zweiten Reihe nach oben zu bringen. Die Norweger haben das viel verdichteter, ich weiß schon, dass wir mit Landeskadern etc. generell viel mehr Akteure haben, aber in diese Richtung muss dennoch umgedacht werden. Ich bin in einer Zeit gefahren, da waren mehrere Siegfahrer im Team, jetzt müssen wir etwas dafür tun und damit auch Strukturen ändern. Die Fahrer müssen sich gegenseitig nach oben pushen, das hat auch uns damals stark gemacht. Die Strukturen haben sich nämlich seit meiner Zeit nicht geändert und es schmerzt mich, wenn wir Rennen haben, wo ein Verband wie der österreichische nicht einmal sein Kontingent ausschöpfen kann. Und es kommen ja Fahrer, wie der Hacker oder Schütter nach, aber wo waren die die ganze Zeit? Die hätten schon längst oben mitfahren müssen.
Sie werden bei der WM in gewohnter Manier kommentieren, auch an der Seite von ihrem Kumpel Oliver Polzer. Ist der ORF eine Herzensangelegenheit?
Ja, da ist echt etwas entstanden. Ich muss sagen, dass ich mich mit allen toll verstehe. Aber es stimmt schon, den Oliver und mich verbindet einiges, wir verbringen viel Zeit. Sogar so viel Zeit, dass er bei dieser Winter-Fußball-WM mich mit Fußball zutexten konnte, obwohl mich das eigentlich nicht sonderlich interessiert (lacht). Dass er ("Q1") und ich ("Österreich vom Feinsten") inzwischen auch andere ORF-Sendungen moderieren dürfen, ist eine unglaubliche Wertschätzung.
In diesem Winter mussten auch Sie schon einige Male auf einen Arbeitstag verzichten. Zu hohe Temperaturen und daraus resultierende Schneearmut sind riesige Herausforderungen für den alpinen Skisport. Hat er eine Zukunft?
Ich glaube schon, weil ja auch das Interesse nach wie vor groß ist. Man muss sich nur vielleicht überlegen, wo man es macht und ob man nicht neue Regionen erschließt, wo es auch Schnee gibt. Ich denke da etwa an die Türkei oder China, wo es Gebirge in sehr hohen Lagen mit viel Schnee gibt. Wenn man den Weltcupkalender so anpasst, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann man sicheren, schönen Sport ebenso garantieren wie die Begeisterung dafür.