Es waren nervenaufreibende, knappe zwei Stunden, in denen die gesamte Schönheit dieses Sports in einer Livetabelle kumulierte, die ihren Stand öfter ändern musste, als Serge Gnabry seine Frisuren. Gruppe E, zwei Favoriten, zwei Außenseiter. Und innerhalb der letzten 90 Minuten der Gruppenphase stand jede Mannschaft mindestens einmal im Achtelfinale und einmal vor der Heimreise. Egal, ob in Katar, in Spanien, Japan, Costa Rica, Deutschland oder dem Rest der Welt erlebten die Fans einen Fußballabend, den sie vielleicht nie wieder vergessen werden. 

Es gibt keinen Krimi ohne Opfer. Costa Rica wird es verschmerzen, heute wieder in die Heimat fahren zu müssen. Für einen Aufstieg war die Qualität im Kader einfach zu gering. In Deutschland ist das anders. Schon kurz nach dem Abpfiff wurde die Nation hinterfragt. Lag es an der Taktik? Fehlt die Qualität? War es die One-Love-Binde oder das Ersatzzeichen? Oder ist man gar schon in der Ausbildung der Jugend einem Irrweg gefolgt? Thomas Müller ließ nach dem Spiel seinen Emotionen freien Lauf und beendete seine Nationalmannschaftskarriere direkt in eine Kamera, wie seine auch in Deutschland sonst nur der Bundespräsident vollzieht. "Es war ein Genuss, liebe Leute, vielen Dank, wir hatten unglaubliche Momente, ich habe in jedem Spiel versucht, mein Herz auf dem Platz zu lassen – auch wenn nicht alles immer geklappt hat", erklärte ein emotionaler Müller. 

Die zuvor gestellten Fragen können durchaus beantwortet werden. Es lag natürlich auch an der Taktik. Stoßstürmer Niclas Füllkrug zeigte seinem Trainer Hansi Flick auch beim 4:2-Sieg gegen Costa Rica, dass er auch bei der alles entscheidenden Auftaktniederlage gegen Japan von Beginn an spielen hätte sollen. "Von mir aus, ja, ich bleibe Trainer, mein Ziel ist die Euro 24", sagt Flick, der sich auch vor seine Mannschaft stellte. Das Feuer sei da, in den entscheidenden Momenten habe man aber die Tore nicht gemacht. Dennoch lässt sich auch die Qualitätsfrage vor allem in der Defensive mit "nicht genügend" beantworten. Die für eine Endrunde gefragte Weltklasse ist nicht mehr vorhanden. In einem Entscheidungsspiel gegen Costa Rica zwei Tore bzw. sogar in Rückstand zu geraten, ist nicht zu entschuldigen.

Das war auch der Moment, in dem die Fußballwelt vor einer der größten Sensationen der Geschichte stand. Beim Blick auf die Livetabelle musste sich auch der geneigte Fachmann die Augen reiben. Japan und Costa Rica wären im Achtelfinale gestanden. Allerdings nicht lange. Deutschland hievte mit seinen weiteren Toren Spanien mit Vorteilen in der Tordifferenz zurück in die K.o.-Phase. Die Japaner waren von Gruppenplatz eins nicht mehr zu verdrängen. Wer Deutschland und Spanien besiegt hat, hat den Aufstieg ohne Zweifel verdient. Hingegen herrscht im Nachbarland auch Konsens darüber, dass die DFB-Elf heute um 14 Uhr verdient in den Flieger Richtung Heimat steigen muss – womit sich auch das Thema "Binde" erübrigt. Selbst dann, wenn Manager Oliver Bierhoff nach dem Ausscheiden eingestehen musste, dass man dieses Thema als Verband deutlich besser hätte abhandeln können.