Wer seit Anbeginn des Gletscherauftaktes nach Sölden kommt, dem blieb der Wandel nicht verborgen. Der Rettenbachferner, jener Gletscher, auf dem die beiden Riesentorläufe gefahren werden, zieht sich sukzessive zurück. Selbst die auch hier, auf 3000 Metern Seehöhe, auf dem Gletscher schon vor Jahren installierte künstliche Beschneiung, das Anlegen von Schneedepots und das Abdecken des Gletschers mit Planen, um die Schmelze zu verhindern, helfen nicht mehr immer. Der Wandel ist nicht zu leugnen – und der Skisport wird sich mit den geänderten Voraussetzungen auseinandersetzen müssen.
Oder besser: Er tut es schon. Die „Neuvermessung des Winters“ ist in vollem Gange. „Der Skisport wird sich verändern“, weiß Herbert Mandl, der in diesem Jahr den Posten als alpiner Sportdirektor übernommen hat und die Sache, wie auch sonst, sportlich sieht. „Die Schneesicherheit ist nicht mehr gegeben, die kleinen Lifte sind schon lange gefallen, wenn auch oftmals aus wirtschaftlichen Überlegungen.“ Die Folge: Die Schwelle, um auf die zwei Bretter und Schnee zu gelangen, wird für viele zusehends schwieriger überwindbar, „während in Oslo alle am Abend schnell einmal eine Stunde auf Alpinski steigen können, nah an der Stadt“, sagt Mandl.
Selbst wenn man sich in der Skiwelt nicht immer eins ist, ob der Klimawandel nicht Teil eines natürlichen Kreislaufes oder doch Folge des vom Menschen beeinflussten Klimawandels ist: Man weiß, dass der Gletscherskilauf – im Speziellen das Training im Sommer – mit Ablaufdatum versehen ist. „Für uns hat die Nutzung der heimischen Gletscher für Sommertrainings sukzessive nachgelassen. Irgendwann, wann auch immer, wird es gar nicht mehr möglich sein. So realistisch muss man bleiben“, sagt Christian Scherer, Geschäftsführer des Österreichischen Skiverbandes.
Dazu kommt: Der Verband hat sozusagen aktiv an der Pflege der Gletscher teilgenommen. Rund 2000 Arbeitsstunden, sagt Mandl, hätten Trainer zur Unterstützung der Bergbahnen in Erhaltungsmaßnahmen investiert, um im Gegenzug Trainingsmöglichkeiten zu bekommen. Eine Leistung, die man auf Dauer wohl nicht erbringen kann, denn: „Wir haben das im Frühjahr gemacht, nebenher sozusagen. Man wird darüber nachdenken müssen, ob man die Abdeckungen nicht effizienter gestalten kann. Aber bei diesen Temperaturen sind die Verluste am Gletscher so enorm, dass man das alles überdenken wird müssen.“ Das sieht auch Scherer so: „Fakt ist, dass wir über das Frühjahr hinaus sensationelle Schneeverhältnisse vorfinden und diese zu wenig intensiv nutzen. Da wird es ein Umdenken benötigen.“
Der Vorschlag, den auch Marcel Hirscher zuletzt unterstützte, liegt praktisch schon am Tisch: Der Winter wird „verschoben“ – soll heißen: Späterer Start, dafür soll man die Bedingungen im Frühjahr auf den Gletschern nützen. Anders wird das auch nicht möglich sein, denn: Der Skisport, in Österreich einst einigender Klebstoff für die Nation und Identifikationsgrundlage, kommt zusehends unter Beschuss. Zu energieintensiv sei die Gaude, die künstliche Beschneiung zu wenig umweltverträglich, heißt es da schnell. Für Scherer ein fatales Signal: „Wir nehmen das Thema Energie sehr ernst. Aber Polemiken sind fehl am Platz – etwa, wenn es heißt, dass der Skisport nicht mehr künstlich beschneien darf. Es wäre fatal zu glauben, dass eine Branche allein die Energiekrise regeln wird können.“ Inklusive aller Maßnahmen der Beschneiung und Präparierung verbrauche die Bergbahnwirtschaft rund 1,3 Prozent aller in Österreich verbrauchter Energie, fügt er an. Man sei sich der Verantwortung bewusst – schließlich muss der Verband Mehrkosten von rund 700.000 Euro pro Saison durch gestiegene Treibstoffpreise schultern. Daher sei der Umstieg auf Hybrid- und E-Fahrzeuge im Gange. Aber: „Vieles lässt sich nicht von heute auf morgen gewährleisten.“
Die Zukunft ist unter(m) Dach
Was bleibt, ist die Sorge um den Nachwuchs – nicht nur im Hochleistungsbereich. Denn Mandl gibt da zu bedenken: „Wir brauchen den Kontakt zum Schnee speziell für die Jugend. Wenn die drei, vier Monate nicht auf Ski stehen, wäre das fatal.“ Daher plant man in Zukunft auch wieder vermehrt, in Skihallen zu gehen. „Als Überbrückung und für den Technikerwerb sind die bei guter Präparierung durchaus geeignet. Ebenso wie Ski-Simulatoren, die die spezifische Bewegung im Skisport, das Be- und Entlasten, fördern.“
Das Problem: In Österreich scheint eine Skihalle Utopie – daher muss man nach Deutschland, Lettland oder künftig auch nach Mailand ausweichen, wo gerade eine Halle entsteht. In allen anderen Dingen ist vor allem die FIS gefordert, einen gangbaren Mittelweg zu finden. Der muss einerseits dem Streben des „Weltcups“, also einer globalen Serie, ebenso folgen wie der natürlichen Heimat des alpinen Skisports: Den Alpen im engeren, den (Ski-)Bergen im weiteren Sinn. Die vom neuen FIS-Präsidenten Johan Eliasch schon in Jahr eins eingeführte Erweiterung in den Herbst und ein zweiter Trip in die USA scheinen zwar wirtschaftlich sinnvoll zu sein, umwelt- und energiepolitisch aber weniger. So wird auch erst morgen entschieden, ob in einer Woche die geplante Abfahrt von Zermatt am Matterhorn nach Italien und Cervino wirklich gefahren werden kann.
Derzeit soll der Zielhang eher noch so aussehen, wie die Berge, auf denen die Gletscher sich schon zurückgezogen haben. Steinig.