Jonas Vingegaard genehmigte sich auf seiner Tour d'Honneur ein Gläschen Champagner, ehe er auf dem Prachtboulevard Champs Élysees frenetisch gefeiert wurde. Der schmächtige Bursche aus der Fischfabrik in Jütland ist am Sonntag nach 3.343,8 Kilometern am Ziel seiner Träume angelangt. 26 Jahre nach dem inzwischen arg befleckten Triumph von Bjarne Riis 1996 herrschte bei der Tour de France in Paris wieder Danish Dynamite.
"Es waren unglaubliche drei Wochen, ein Traum", sagte Vingegaard, nachdem er den scheinbar unbesiegbaren Titelverteidiger Tadej Pogačar entthront hatte. So erlebte die Tour, die am Sonntag mit dem Sieg von Jasper Philipsen im Sprint royale vor Dylan Groenewegen und Alexander Kristoff ihr stimmungsvolles Ende fand, die Wandlung eines einstmals von Selbstzweifeln und Nervosität geplagten Mannes zum souveränen Siegfahrer.
In den Alpen und Pyrenäen offenbarte er keine Schwächen – und verspürt längst Lust auf mehr. "Ich will noch mehr gewinnen", sagte der 25-Jährige, der sich auch als großer Sportsmann zeigte, als er nach Pogačars Sturz in den Bergen auf ihn wartete. "Wir haben eine gute Beziehung. Wir sind keine Freunde, aber wir respektieren uns."
So darf sich die Tour auf weitere große Duelle freuen. Denn auch Pogačar – dieses Mal mit 2:43 Minuten Rückstand Zweiter – ist heiß auf eine Revanche. "Viele Leute wollen einen anderen Sieger sehen. Es ist nicht so schlimm, die Plätze mal zu tauschen. Ich habe einen stärkeren Gegner gefunden. Das gibt mir Motivation, im nächsten Jahr besser zu sein", sagte der zwei Jahre jüngere Slowene, dessen Team durch mehrere Coronafälle dezimiert worden war.
Vingegaard und sein Jumbo-Visma-Team mit dem dreifachen Etappensieger und Alleskönner Wout van Aert zerdrückten quasi die Konkurrenz.
Gleich vier Tagessiege durch Vingegaard
Die Gastgeber durften erst am drittletzten Tag über einen Etappensieg jubeln und wendeten so das größte Fiasko seit 1999 ab. Dafür feierte das kleine Dänemark. Mit dem Rückenwind des stimmungsvollen Grand Départs, der passenderweise in Kopenhagen stattfand, gab es gleich vier Tagessiege durch Vingegaard, Ex-Weltmeister Mads Pedersen und Magnus Cort Nielsen.
Es ist nicht der erste Radsport-Boom, den das Land aus dem hohen Norden erlebt. Die letzten beiden Male endeten in einer großen Ernüchterung. Riis räumte später im Zuge des Telekom-Skandals ein, bei seinem Triumph gedopt gewesen zu sein und Michael Rasmussen wurde 2007 kurz vor dem Ende aus dem Gelben Trikot gezerrt und nach Hause geschickt, weil er den Dopingkontrolleuren falsche Aufenthaltsorte genannt hatte. Auch er gestand später Doping.
"Wir sind total sauber. Jeder von uns."
Glaubt man Vingegaard, haben sich die Zeiten geändert. "Wir sind total sauber. Jeder von uns. Ich kann für das ganze Team sprechen. Niemand von uns nimmt etwas Verbotenes", sagte der neue Tour-Patron.
Die Tour hat seit 2015 keinen Dopingfall registriert, dafür gab es in diesem Jahr 17 Coronafälle. Auch das ist – wie in der Gesellschaft – durch die Lockerungen inzwischen Normalität.
Von den sechs gestarteten Österreichern kamen mit Patrick Konrad (16./Bora-hansgrohe), 35. Gregor Mühlberger (29./Movistar), Sebastian Schönberger (34./B&B Hotels-KTM), Felix Großschartner (53./Bora-hansgrohe) und Marco Haller (87./Bora-hansgrohe) fünf ins Ziel. Michael Gogl (Alpecin) stürzte auf der 5. Etappe und musste mit Schlüsselbein- und Beckenbruch aufgeben.