Der Fußball soll wieder nach Hause kommen, heißt es in England. „War er denn jemals zu Hause?“, fragte sich im Laufe der Euro nicht nur ein schelmischer Kasper Schmeichel. Der Torhüter der tragischen Dänen musste den Engländern zwar den Weg ins Finale freimachen, doch einen wunden Punkt hat Schmeichel dennoch getroffen. Dass der Titel wieder dort hinkommt, wo er laut dem Song „Three Lions“ der Brit-Pop-Band Lightning Seeds hingehört, hatte schon beim Erscheinen des Nummer-1-Hits zur Europameisterschaft 1996 eher historische und weniger sportliche Gründe.

Tatsächlich „daheim“ war der Euro-Titel noch nie. Nicht annähernd. Die Engländer bestreiten am Sonntag gegen Italien ihr erstes EM-Finale. 55 Jahre nach dem Gewinn des WM-Titels im eigenen Land, als der Fußball praktischerweise gleich daheim geblieben ist. Und 25 Jahre nachdem der heutige Trainer Gareth Southgate im Halbfinale der EM gegen Deutschland mit einem gescheiterten Elfmeter die unerwartet lange Durststrecke seines Heimatlandes ein weiteres Mal verlängert hat. Goldene Generationen sind dazwischen verloren gegangen. Für die Euro 2008 reichte es gar nicht erst zur Qualifikation.

“Three Lions on a Shirt, Jules Rimet (Ex-FIFA-Präsidenten und bis 1970 Namensgeber für den WM-Pokal) still gleaming. Thirty Years of Hurt never stopped me dreaming”, heißt es im Dauerbrenner. Jetzt könnte der Traum – nach weiteren Jahrzehnten des Leids – Realität werden.

Dementsprechend unaufhaltbar ist die Euphorie im viel zitierten „Mutterland des Fußballs“. Womit die Engländer ihren Anker für „Football is coming Home“ auch gefunden hätten. Nicht viel weniger als die Erfindung des Fußballs, wie wir ihn heute kennen, heften sich die Engländer auf ihr rotes Kreuz auf weißen Untergrund.

Und es ist wieder so etwas wie eine Heimveranstaltung. Nur eines ihrer bisher sechs Spiele (das Viertelfinale gegen die Ukraine fand in Rom statt) durften die Engländer nicht im Wohnzimmer Wembley austragen. Das Finale wird ebenfalls vor einem zu drei Vierteln besetzten und akustisch betrachtet gefühlt doppelt befülltem Nationalstadion stattfinden. Doch auch außerhalb von Wembley ist im Zentrum des Königreichs nichts mehr so, wie es vor dem Auftaktsieg gegen Kroatien vor fast vier Wochen war. Die ikonischen Stadtbusse werden gekapert, das U-Bahn-Netz dient als Verstärker für die Gesänge und in den Pubs schlagen sich die Fans sowieso vor lauter Freude fast die Schädel ein. Einen „Verbrauch“ von 9,7 Millionen Pints Bier, also rund 5,5 Millionen Liter, hat der Verband britischer Bier-Brauer am Tag des Halbfinales gegen Dänemark in Pubs und Public-Viewing-Areas verbucht. Egal ob trinkend oder durch die Luft geschleudert. Mit dem Tipp, dass diese Menge am Sonntag nicht reichen wird, fährt man bestimmt sicherer als mit jeder Ergebnis-Prognose.