Die Probleme werden nicht kleiner, sondern eher immer größer: Ferrari fährt in dieser Formel-1-Saison nicht nur hinterher, sondern auch Teamchef Mattia Binotto macht sich mit seinen öffentlichen Aussagen immer weiter unglaubwürdig. Da benutzt er ein Interview in einer großen deutschen Sonntagszeitung, um so zu tun, als sei bei Ferrari intern alles in Ordnung, als gebe es keine Probleme im Verhältnis zu Sebastian Vettel. „Ich verstehe, dass in Deutschland jetzt viel über angebliche Spannungen zwischen ihm und uns geschrieben wurde, aber das ist alles totaler Schwachsinn. Obwohl allen klar ist, dass es seine letzte Saison ist, benimmt er sich vollkommen anständig. Die Atmosphäre ist trotz der schwierigen Lage positiv bei uns.“
Und wenn dann das Rennen am Sonntag – für alle über den Funkverkehr mit hörbar – das genaue Gegenteil beweist, Vettel keine vernünftigen Antworten in Sachen Strategie bekommt und sich darüber zu Recht aufregt, da hört sich das dann so an: „Ich will nicht über Missverständnisse zwischen Fahrer und Kommandostand sprechen. Aus eigener Wahl reden wir offen. Andere machen das nicht, um ihre Absichten zu kaschieren. Wir finden, es ist der richtige Weg, wenn beiderseits Fragen gestellt werden.“
Und er behauptet immer noch, dass Ferrari mit den für Vettel zuletzt richtig gelegen habe: „Wenn wir die letzten Rennen anschauen, dann haben wir die richtigen Entscheidungen getroffen. Diskussionen und Fragezeichen sind uns willkommen. Denn nur ein solcher Dialog führt zur richtigen Wahl.“
Zumindest für das letzte Wochenende in Silverstone ist das glatt gelogen, selbst Ferrari-interne Berechnungen hatten ja ergeben, dass dort mit einer besseren Strategie Platz acht statt Platz zwölf für Vettel möglich gewesen wäre. Und auch jetzt in Barcelona wäre es wohl schlauer gewesen, von Anfang an eine Einstopp-Strategie in Betracht zu ziehen und ihn beim ersten Stopp mit neuen, statt mit gebrauchten Softreifen auf die Strecke zu schicken. Leclerc fuhr mit den Softs einen Startturn von 29 Runden, mit schwerem Auto – da sollten 37 für einen zweiten Stint mit leichterem Auto bei Vettel durchaus eine Option sein, über die man rechtzeitig nachdenkt.
So müssen all diese Binotto-Kommentare dem viermaligen Weltmeister nur wie hohles Gerede vorkommen, weiß er doch ganz genau, wie es wirklich aussieht, dass sich keiner mehr für ihn interessiert, auf seinen Input keinen Wert mehr legt. Auf die Frage von Sky Italia, woran Ferrari nach solch einem Wochenende denken müsse, sagte Vettel zwar grinsend, aber doch knallhart: „Meine Meinung ist nicht mehr wichtig.“
Und wenn er dann glaubt, nur in Italien gehört zu werden, dann lässt Binotto ja das Schönreden auch sein: „Das ist eine Bemerkung, die von seiner Enttäuschung diktiert worden ist, nächstes Jahr nicht mehr Teil des Teams zu sein. Wenn er so etwas sagt, dann will er damit nur ausdrücken, dass Ratschläge für die Zukunft nicht mehr seine Sache sind.“ Womit er zugibt, dass es bei Ferrari keinen mehr interessiert, was Vettel zu sagen hat.
Was auch heißt: Das Team bezieht ihn nicht mehr in die Weiterentwicklung ein. Ein normaler Vorgang, wenn ein Fahrer ein Team verlässt – und wenn es nur um 2021 ginge. Aber es betrifft wohl auch die Arbeit in diesem Jahr – und das ist es, was Vettel ärgert. Er wird kaum noch die Möglichkeit bekommen, den Ferrari in seine Richtung zu trimmen. Verschiedene Abstimmungsideen auszuprobieren ist aufwendig, kostet Zeit und Geld. Das will man offenbar nicht mehr investieren. Er wird von nun an mit dem Status Quo leben müssen. Und der ist immer noch nicht zufriedenstellend. „Es ist immer noch auf und ab“, gibt er zu. „Einige Sessions sind besser als andere. Der erste Stint war ziemlich schlecht, beim zweiten fühlte ich mich viel besser. Es gibt auf meiner Seite der Garage noch einiges zu tun. “ Wohl wissend, dass man ihn wohl nicht lassen wird...
Karin Sturm