Die Schachwelt blickt aktuell mit weit geöffneten Augen nach Paris. Im Halbfinale der „Speed Chess Championships“ treffen Magnus Carlsen und Hans Niemann aufeinander. Sportlich ist das Duell wenig brisant. Auf der einen Seite sitzt Carlsen, der beste Schachspieler der letzten zehn Jahre – egal, in welchem Zeitmodus. Und auf der anderen Seite Hans Niemann, der ohne Zweifel talentierte US-Amerikaner, der in den letzten Jahren mit spektakulären Partien von sich reden machte, aber Carlsen eben nicht das Wasser reichen kann. Und doch hält die Schachwelt den Atem an. Die Arena ist ausverkauft, bis zu 1500 Euro wurden für Eintrittskarten geboten. „Es ist kein Geheimnis, dass ich mir einen anderen Gegner gewünscht hätte“, sagt Carlsen – und da geht es definitiv nicht um die schachliche Herausforderung.
Was war passiert? Die Fehde zwischen Carlsen und Niemann geht zurück in den September 2022. Da trafen die beiden beim prestigeträchtigen Sinquefield-Cup aufeinander und Niemann siegte. Carlsen zog sich daraufhin aus dem Turnier zurück, das hatte er zuvor noch nie gemacht. Ein kryptisches Posting auf Twitter und der wachsenden Schach-Community war klar: Der Weltmeister bezichtigt Niemann des Betrugs. Niemann verteidigte sich nicht nur, er ging sogar in die Offensive. „Wenn sie wollen, dass ich mich komplett nackt ausziehe, werde ich es tun“, kündigte er an. „Das ist mir egal, denn ich weiß, dass ich sauber bin. Man will, dass ich in einer geschlossenen Box ohne elektronische Übertragung spiele, ist mir egal. Ich bin hier, um zu gewinnen, und das ist mein Ziel, egal wie.“
Magnus Carlsen gab nach nur einem Zug auf
Bei einem Online-Turnier, dem Julius Bär Generationen Cup, war Carlsen nur wenig später wieder gegen Niemann gelost und gab nach nur zwei Zügen auf. Die Aufregung war groß. „Ich kann nicht im Detail darüber sprechen, aber die Menschen werden ihre Schlüsse ziehen oder haben das bereits getan“, sagte Carlsen. Und er gratulierte Niemann – nicht ohne seinen Mentor Maxim Dlugy zu vergessen. Die nächste Spitze Carlsens, denn Dlugy war auf chess.com wegen Betrugs gesperrt. Auch Niemann wurde bei chess.com gesperrt, sein Ruf war beschädigt. Es kam zur 100-Millionen-Dollar-Klage Niemanns.
Danach schienen sich alle wieder zu vertragen. Auf chess.com wurde der Amerikaner wieder zugelassen, die Seite „freut sich, wenn Niemann an künftigen Turnieren teilnimmt“. Carlsen akzeptiert, dass es nicht ausreichend „Beweise gibt, dass Niemann beim Sinquefield-Cup betrogen hat und werde in Zukunft gegen ihn spielen, wenn wir gegeneinander ausgelost werden“. Niemann freut sich auf Duelle mit Carlsen „im Schach und nicht vor Gericht“.
Giftpfeile zwischen Magnus Carlsen und Hans Niemann
Und auch, wenn alles einen friedlichen Eindruck machte, fliegen jetzt vor dem ersten Aufeinandertreffen seit dem Skandal, die Giftpfeile. „Wenn ich einen brauchbaren Tag habe, gewinne ich wahrscheinlich ohne große Schwierigkeiten“, provoziert Carlsen. „Der einzige Grund, warum ich diffamiert und attackiert wurde, war eine persönliche Vendetta von jemandem, der meine Karriere zerstören wollte“, sagte Niemann über Carlsen. „Alles, was ich getan habe, war, ein Schachspiel zu gewinnen. Und was ich danach erlebt habe, war die absolute Hölle.“
Jetzt, in Paris, wolle Niemann eben auch nichts anderes machen, als ein Schachspiel zu gewinnen.