Das Rote Trikot des Gesamtführenden, es wiegt gar nicht so schwer auf den Schultern von Ben O‘Connor, wie man vermuten möchte. „Ich fühle keinen großen Druck“, sagt der Gesamtführende der Spanienrundfahrt, „weil es unerwartet gekommen ist. Ich genieße es aber sehr und mag es, wenn ich vorne bin und die Konkurrenten etwas machen müssen.“ Mit einem Solosieg auf der sechsten Etappe hat er den Grundstein für seine formidable Führung von 3:53 Minuten auf Primož Roglič (Red Bull) gelegt.
Der Australier kann in der Hitze auf die Unterstützung von Felix Gall bauen. Der Osttiroler hat sich in den Dienst seines Teamkollegen gestellt. „Er ist ein richtig guter Fahrer und mit einem Typen wie ihm an deiner Seite kannst du ein Rennen kontrollieren“, sagt O‘Connor, der das Team mit Jahresende verlassen wird. Dieses Trikot zu tragen, sei sein größter Moment im Dienste von „Decathlon AG2R“. Im Vorjahr verhalf der 28-Jährige bei der Tour Felix Gall zu seinem Meisterstück: Auf dem Col de la Loze gab er sein letztes Hemd, um Gall auf der Königsetappe in bestmögliche Position zu bringen. Gall gewann in Courchevel und schrieb Geschichte.
Durch das Führungstrikot in den eigenen Reihen haben sich auch für Gall, der in exquisiter Form nach Spanien gereist ist, die Prioritäten geändert. „Mein Ziel war ein Etappensieg. Aber die Ausgangslage ist für die zweite Woche durch das Rote Trikot eine andere. Es zu verteidigen, hat die oberste Priorität.“ Sofern er die Freigabe vom Team bekommt, wird er sich aber auch in den Kampf um einen Etappensieg werfen, aber wohl nicht aus einer Fluchtgruppe heraus. Die kurzen, steilen Zielankünfte in Spanien liegen dem Osttiroler.
Im Gesamtklassement ist Gall nach neun Etappen als Achter sehr gut positioniert. Sein Rückstand auf den zweitplatzierten Roglič beträgt nur rund eineinhalb Minuten. Außerdem sind mit Joao Almeida (Covid) und Antonio Tiberi (Hitzeschlag am Sonntag) zwei im Spitzenfeld gelegene Topfahrer bereits aus dem Rennen. Nicht weit hinter Gall lauern jedoch andere wie Mikel Landa und Titelverteidiger Sepp Kuss. Am Dienstag geht es nach dem Ruhetag wieder richtig los. „Das ist ein Tag, an dem alles möglich ist“, sagt Gall und lacht. Auf dem zehnten Teilstück von Ponteareas nach Baiona über 160 Kilometer warten 3074 Höhenmeter und vier Bergwertungen – die letzten Kilometer sind allerdings flach.
Ein großes Thema auf der iberischen Halbinsel ist die Hitze. „Es gab keinen Tag, an dem wir nicht um die 40 Grad Celsius hatten“, erzählt Gall. Er selbst kommt mit den hohen Temperaturen gut zurecht. „Ich habe aber auf den letzten Kilometern auch gemerkt, dass wenn man 15 Minuten nichts zu trinken hat, man Probleme bekommt.“ Auf die Ernährung (100 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde) hat die Hitze keinen Einfluss, beim Trinken steigert sich die Menge allerdings. Etwas mehr als einen Liter trinken die Profis pro Stunde, das Übergießen des Kopfes mit Wasser sorgt für zusätzliche Abkühlung.