Das „Einrollen“ für die letzte Woche der Tour de France ist beendet. Eine Bezeichnung für das 16. Teilstück, die angesichts der zu absolvierenden Höhenmeter keinesfalls überzeichnend ist. Denn auf den 188 Kilometern zwischen Gruissan und Nîmes stellte sich gerade einmal eine Bergwertung auf und ab heute knallt das Peloton mit Hochgeschwindigkeit in die Alpen. Zuvor sicherte sich Jasper Philipsen (Alpecin) den letzten Massensprint – sein insgesamt neunter Etappensieg.

Denn ab heute warten Etappen über 3091, 3123, 4512 sowie 4752 Höhenmeter. Dem nicht genug geht es am Freitag (19.) über das Dach der Tour: Es wird der Cime de la Bonette und damit die höchste asphaltierte Straße Frankreichs befahren und nicht nur ob der 2802 Metern Seehöhe wird die Luft für viele dünn. Das Ziel ist in Isola 2000 und somit in einem Wintersportort, den Felix Gall gut kennt. Absolvierte der Osttiroler dort das finale Höhentrainingslager. Kurz vor dem Start sehnte er sich dort im Regen den Sommer herbei, aktuell hätten es wohl alle lieber etwas kühler. Am Freitag und Samstag wird der Kampf um das Gelbe Trikot mit den zwei Bergankünften noch einmal voll entflammen.

Tadej Pogačar (UAE) agierte bis zur und auf der Königsetappe vergangenen Sonntag zwar in absoluter Hochform, ob er sie in die dritte Woche bringen kann, ist ungewiss. Der Slowene fährt mit viel Herzblut und ist dadurch auch schon verglüht. Im Vorjahr beendete ein Einbruch im Anstieg zum Col de la Loze alle Siegesträume. „I’m dead“ funkte der Slowene. Titelverteidiger Jonas Vingegaard (Visma) jubelte damals und er gibt sich angesichts des Rückstands von 3:09 Minuten nicht geschlagen. „Ich werde nicht ohne einen Kampf untergehen“, sagt der Däne, „ich habe die Tour zweimal gewonnen und ich bin nicht hier, um den zweiten Platz zu fahren. Ich werde alles versuchen.“ Es ist kein Geheimnis, dass Vingegaard in der dritten Woche von Frankreich tendenziell stärker wird.

Das Duell an der Spitze des Klassements verfolgt Gall gespannt. „Tadej Pogačar scheint unantastbar zu sein. Er hat auch das stärkste Team. In der Vergangenheit hat er in der dritten Woche Probleme gehabt, aber es sieht nicht danach aus, dass das heuer passiert“, meint Gall. Dennoch glaubt er Vingegaards Ankündigung: „Ich glaube nicht, dass sie ihm das Gelbe Trikot kampflos überlassen wollen. Schon gar nicht auf dem Col de la Bonette.“

Gall, der in Nîmes auf Platz 90 fuhr, belegt den elften Rang im Gesamtklassement. „Ich bin noch nicht in den Top Ten, das hätte ich mir am zweiten Ruhetag gewünscht“, sagt er: „Das Ziel war, dass ich beim anschließenden Zeitfahren einen komfortablen Vorsprung auf die Leute hinter mir habe.“ Der Kampf gegen die Uhr ist nicht seine Stärke, doch kommt ihm die Schwere der letzten Etappe von Monaco nach Nizza entgegen. Dass er wie im Vorjahr eine Etappe „abschießen“ kann, hält er für möglich. „Aus der Favoritengruppe heraus ist das nicht wirklich realistisch“, meint der Profi von Decathlon AG2R, „ein Etappensieg ist nur über eine Ausreißergruppe möglich.“ Auf diese Weise gelang ihm auch 2023 der Sieg in Courchevel.

Für die Herausforderungen sieht sich der Osttiroler gewappnet. Auch die Erfahrung des letzten Jahres trägt dazu bei, als er die Königsetappe in der dritten Woche gewonnen hat. „Ich habe mehr Selbstvertrauen, bin weniger gestresst. Ich bin im Vorjahr in der dritten Woche stärker geworden, fühle mich heuer fit, gesund und habe die Unterstützung meines Teams.“ Dass er gezeichnet von den Anstrengungen ist, leugnet er nicht. „Ich habe sehr viel investiert, nicht gut geschlafen. Der Körper versucht, die Belastung zu verarbeiten.“ Im Fahrerfeld herrsche eine „Grundmüdigkeit“, jeder habe seine eigenen Kämpfe. Aber, meint Gall: „Ich fühle mich jetzt besser und bereit für die letzten Etappen.“

Ein Etappenerfolg des Österreichers würde dem Team finanziell auch guttun: In der Rangliste am Ruhetag war AG2R mit 7080 eingefahrenen Euros hinter Red Bull (8340) Schlusslicht. UAE führte die Liste mit 90.380 Euro vor Intermarché (73.880) und Visma (53.000) an.