Lando Norris war in den letzten Rennen der große Herausforderer von Max Verstappen. Bei seinem Heimrennen in Silverstone erwarten die britischen Fans von ihrem neuen Superstar nicht weniger als einen Sieg. Dennoch haben gerade die Vorfälle rund um den Crash mit Verstappen um Spielberg gezeigt: Wenn Norris dauerhaft an der Spitze mitmischen und um den WM-Titel kämpfen will, wird er sich daran gewöhnen müssen, dass es ganz oben in der Formel 1 noch ein bisschen härter zugeht, als er das bisher gewohnt war.

Zumindest in der Theorie scheint der Brite das verstanden zu haben – anders ist sein verbaler Rückzieher in Silverstone nicht zu verstehen. Trotz der moralischen Unterstützung für seine Beschwerden durch die englischen Medien und Experten nach Spielberg, die sich sofort auf Verstappen und seine angeblich „unfaire“ Fahrweise eingeschossen hatten, nahm Norris fast alle seiner Vorwürfe gegen seinen Kontrahenten zurück, von einer Entschuldigung, die er ursprünglich gefordert hatte, was auf einmal auch nicht mehr die Rede.

„Einige Dinge waren zu viel“

„Ich habe ehrlich gesagt nicht das Gefühl, dass er sich entschuldigen muss“, gab sich der McLaren-Pilot auf einmal sehr zahm. „Einige der Dinge, die ich nach dem Rennen in den Interviews gesagt habe, waren zu viel, weil ich zu dem Zeitpunkt frustriert war. Viel Adrenalin, viele Emotionen, und wahrscheinlich habe ich ein paar Dinge gesagt, an die ich selbst nicht glaubte, vor allem später in der Woche.“

In einer Hinsicht muss Norris dabei allerdings aufpassen: Dass aus dem verbalen Akzeptieren der Fahrweise seines Gegners, die nicht anders ist, als die der ganz Großen aller Zeiten, ob Hamilton oder Vettel in ihren WM-Titelkampfzeiten, Schumacher oder Senna, nicht ein eigenes zu schnelles Zurückziehen wird. „Rückblickend würde ich sagen: Ein gutes Rennen, teilweise sehr nah am Limit – aber wir haben darüber gesprochen, und wir sind beide glücklich damit, wieder Rennen fahren zu gehen“, schätzt er das Geschehen in Österreich nach zwei Gesprächen mit seinem eigentlich ja guten Kumpel Verstappen ein. „Was wir besprochen haben, bleibt natürlich unter uns. Aber ich denke, es ist klar, wie er fährt. Er fährt hart und am Limit. Je länger ich über die Dinge nachgedacht habe, desto mehr denke ich, dass es einfach Racing war… Ich denke, ich habe da in gewisser Weise überreagiert. Für mich ist das in vielen Aspekten noch eine eher neue Sache.“

Ein „Versprechen“

Die er für sich selbst auch lernen muss, will er dauerhaft ganz oben an der Spitze mitmischen und Verstappen wirklich herausfordern. Denn der wird auf der Strecke sicher nicht zurückstecken, auch wenn er betont, dass ihm die Freundschaft zu Norris wichtig sei – und er ihn nicht absichtlich von der Strecke befördern würde. „Ich habe Lando immer gesagt: Wenn du Manöver versuchst, egal ob innen oder außen rum, dann kannst du mir vertrauen, dass ich nicht da bin, um dich aus dem Weg zu räumen. Und andersrum ist es genauso, darüber haben wir auch gesprochen.“

Geschenke dürfe Norris aber eben trotzdem nicht erwarten. Das würde nicht zu Verstappens Denkweise im Cockpit passen: : „Da geht man natürlich, wie auch beim Design der Autos, ans äußerste Limit der Regeln. Vielleicht findet man hier und da ein paar Grauzonen mit dem Auto. Und so fährt man auch. Ansonsten wird man nie ein Top-Fahrer, und hat auch sonst im Leben keinen Erfolg.“ Dieses Mindset muss sich der Aufsteiger noch aneignen. Denn sonst läuft er Gefahr, in Zukunft nicht hart genug gegen zu halten, was ein Max Verstappen natürlich sofort ausnützen würde. Auch wenn Norris glaubt: „Max will auch nicht crashen, er will nicht sein eigenes Rennen und seine eigenen Chancen wegwerfen.“

Bis jetzt sieht er für sich freilich noch keinen großen Anlass für Veränderungen: „Es gibt Dinge, die ich ein bisschen anders machen muss, aber schlussendlich glaube ich nicht, dass er sich groß verändern wird, und ich muss das auch nicht.“ Was trotzdem helfen könnte: Zukünftig Fehler vermeiden wie im Sprint in Spielberg, als er einen Überholversuch so überhastet anlegte, dass er anschließend die Tür für Verstappen für einen Konter aufmachte, wobei auch noch sein Teamkollege Oscar Piastri durchschlüpfte...