Ralf Rangnick ist zwar kein Mathematiker, wie er am Montag angesichts der möglichen Konstellationen mit den Drittplatzierten eingestanden hatte, aber doch ein kühler Rechner. Eins und eins ergibt zwei, Gelbe Karten nämlich, und das ist eine Verwarnung zu viel. Also opferte der österreichische Teamchef für das dritte Gruppenspiel gegen die Niederlande einen Teil der Einser-Aufstellung auf dem Altar des Achtelfinales. Die Sicherheitsmaßnahme diente dem Schutz von vier Bedrohten, allen voran Christoph Baumgartner, der wie Kevin Danso, Konrad Laimer und Phillipp Mwene auf der Bank begann. Sie alle wären neben den für die Startelf berücksichtigten Marko Arnautovic, Max Wöber und Patrick Wimmer im Gelb-Fall gesperrt. Romano Schmid und Alexander Prass durften beginnen. Ein Ergebnis wie ein 0:5 gegen das „Oranje“-Team, das die K.o-Phase noch gefährdet hätte, findet in Rangnicks Gedankenwelt keinen Platz.

Video: So feierten Fans den Sieg

Das Resultat spricht Bände, Österreich siegte 3:2 und zeigte gleich von Beginn an, dass es gewillt war, den dritten Platz so schnell wie möglich zu verlassen. Das ÖFB-Team gestaltete die Anfangsphase, während die Holländer sehr entspannt zu Werke gingen. Doch schon in der 6. Minute schlug es ein beim „Oranje“-Team. Stürmer Donyell Malen schlug bei einer idealen Hereingabe von Prass die falsche Richtung ein und bezwang seinen Torhüter. Mit dem achten Eigentor dieser Europameisterschaft setzten die Österreicher die Tradition früher Führungstreffer fort. Die Rangnick-Elf behielt daraufhin die Kontrolle, hätte aber trotzdem in der 23. Minute beinahe den Ausgleich kassiert. Der sehr motivierte Malen verfehlte nach einer schönen Angriffsaktion das Gehäuse nur knapp.

Dann handelten sich die Österreicher weitere Gelbe Karten ein. Stefan Posch war noch unbelastet, doch Wimmer muss im Achtelfinale pausieren. Das bremste den Elan keineswegs, und wie von Rangnick versprochen, wurde ein Eckball ein scharfes Instrument. Marcel Sabitzer zwang mit einem Flachschuss den niederländischen Schlussmann Bart Verbruggen zu Boden, gleich darauf verpasste Arnautovic die Topchance auf das 2:0, weil er den Ball nicht richtig traf. Zur Halbzeit führte Österreich die Tabelle an, denn Frankreich war bei dieser Euro auch nach 45 Minuten gegen Polen noch immer kein selbst erzieltes Tor gelungen.

Österreich ging dreimal in Führung

Doch die vor der Pause geleistete Aufbauarbeit war nach nicht einmal zwei Minuten der zweiten Hälfte zunichtegemacht. Ein leichtfertiger Ballverlust von Florian Grillitsch führte zu einem schnellen Gegenstoß der in dieser Disziplin äußerst versierten Niederländer. Xavi Simons war nicht zu stoppen, der Leipziger setzte Cody Gakpo ein, der nach einem eleganten Haken Patrick Pentz keine Chance ließ. Der Treffer beflügelte die Holländer, aber die Österreicher ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und wichen nicht ab von ihrem Konzept. Ihre überlegte Spielweise verbanden sie mit Durchschlagskraft, was nach einer Stunde die neuerliche Führung zur Folge hatte. Grillitsch betrieb Wiedergutmachung, flankte wunderbar auf Romano Schmid, der einköpfelte. Stefan de Vrij war mit dem Fuß noch dran, der Treffer gehört aber dem Steirer.

Als personelle Verstärkung für eine lange Schlussphase schickte Rangnick nun Baumgartner und Laimer in die Partie, doch die Niederlande schlugen wieder zurück. Depay schoss ein, der Schiedsrichter sah ein Handspiel, das nicht stattfand. Nach VAR-Check revidierte der Referee die Entscheidung, es hieß 2:2, ein Spielstand, der die Österreicher aber nur zu neuen Taten inspirierte. Marcel Sabitzer schloss einen perfekten Angriff mit einem tollen Schuss unter die Latte ab.

Die österreichischen Fans versuchten mit Gesangseinlagen und Sprechchören das Nervenflattern zu überspielen, weil die Niederländer stets Gefahr ausstrahlten. Die Nachspielzeit zog sich unerträglich lange, dann war es überstanden. Weil Frankreich gegen Polen nur 1:1 spielte, wurde Österreich sogar noch Gruppensieger. Somit trifft Österreich am kommenden Dienstag in Leipzig um 21 Uhr auf den Zweiten der Gruppe F – also auf die Türkei, Tschechien oder Georgien.

„Im Fußball geht es oft schnell, da hast du Ups und Downs“, sagte der Siegtorschütze Marcel Sabitzer. „Das ist normal, denke ich. Die Frage ist, wie du damit umgehst. Ich habe in den letzten Tagen sehr gut gearbeitet, die Mannschaft unterstützt mich sehr gut. Wenn du so einen Sieg machst, Gruppensieger wirst, das Siegestor geschossen hast, besser geht es ja nicht. Man of the Match ist eine schöne Nebensache. Ich gebe alles für das Team, will immer helfen mit Assists und Toren, wenn das nebenbei rausspringt, ist das sehr schön. Man sieht, wir wechseln durch und es wird nichts vermisst, jeder weiß um seine Position, was er machen muss. Die Intensität ist das Entscheidende, das haben wir sehr lange hingekriegt. Wenn du die Niederlande schlägst, in der Gruppe Gruppensieger wirst, dann kannst du nicht so schlecht sein. Für uns stand an oberster Stelle weiterzukommen, das haben wir einmal geschafft. Jetzt gilt es wieder runterfahren, Kopf freibekommen von der Sache und dann greifen wir weiter an.“