Als Jahresbeste in Europa war Victoria Hudson zur Leichtathletik-EM gereist und als Europameisterin wird sie Rom wieder verlassen. Die 28-Jährige triumphierte am Dienstag im Speerwurf mit 64,62 m. Für Österreich war es die zweite Medaille bei diesen Kontinentaltitelkämpfen nach Silber von Lukas Weißhaidinger im Diskuswurf sowie die 13. für den ÖLV überhaupt. Silber ging an die Serbin Adriana Vilagos (64,42), Bronze an die Norwegerin Marie-Therese Obst (63,50).
„Unglaublich! Ich habe geträumt, in meinem Leben irgendwann einmal eine Medaille zu machen, aber dass ich ganz oben am Stockerl stehe, hätte ich nie gedacht“, sagte Hudson. Sie sei zwar die Beste des Jahres in Europa, aber das sei die Papierform und nicht das reale Leben. „Die anderen können das auch genauso, ich habe es heute gemacht. Vielleicht habe ich am meisten an mich geglaubt und es auf den Punkt gebracht.“
Zu für sie als Früh-zu-Bett-Geherin ungewohnt später Stunde hatte Hudson vor Familie, den englischen Großeltern und Freunden versprochen, „geistig und körperlich voll da“ zu sein. Nachdem Hudson erst am 22. Mai den von ihr gehaltenen österreichischen Rekord auf 66,06 m verbessert hatte, klang das Minimalziel, den zehnten Platz von der EM 2022 in München zu verbessern, als Understatement. Jedoch war Hudson noch nie zuvor in der Situation, als Topfavoritin bestehen zu müssen.
Und sie meisterte die Prüfung bravourös, gewann das erste ÖLV-Gold bei einer EM seit Ilona Gusenbauer im Hochsprung 1971 in Helsinki, das dritte insgesamt. Hatte Hudson in der Qualifikation als Fünfte mit 60,15 m Kraft gespart, schleuderte sie im Finale gleich im ersten Versuch den 600 Gramm leichten Speer auf an diesem Abend für die anderen unerreichbare 64,62 m.
Damit schockte sie die Konkurrentinnen sichtbar, diese kamen erst im dritten Versuch auf Touren und Vilagos bis auf 20 Zentimeter an Hudson heran. Hudson ließ eine starke Serie mit 60,35, einem ungültigen Versuch, 61,75 und 62,74 folgen. Beim letzten Wurf stand sie bereits als Europameisterin fest, es wurden 59,55 m.
Hudson erklärte, dass sich der erste Wurf überhaupt nicht danach angefühlt habe, dass er so weit sei. „Normalerweise habe ich ein gutes Gefühl. Ich habe es nicht glauben können, als ich dann die Weite sah. Der ganze Wettkampf war dann Zittern ohne Ende, die längsten fünf Runden meines Lebens. Die letzte Runde war der absolute Wahnsinn, ich habe nur versucht, ruhig zu bleiben“, erklärte Hudson. Dass es für eine Medaille reicht, habe sie schon gedacht, aber an Gold denken wollte sie nicht.
„Die Vorgabe war, wir riskieren vom ersten Versuch an, das ist voll aufgegangen. Früher war sie eine Wundertüte. Mittlerweile kann sie abliefern auch und hat ein starkes Mindset“, sagte Trainer Gregor Högler. Das Jahr sei für Hudson mit Rückenproblemen und Erkrankungen nicht einfach gewesen. „Aber am Schluss steht unsere Athleten fit da. Ein danke an das ganze Betreuerteam.“
Hudson hatte ihre zuvor stärkste Saison im Vorjahr, als sie erst bei den European Games in Chorzow (Polen) die Bronzemedaille gewann und in Budapest bei der WM den fünften Platz folgen ließ. Vorhergegangen war dem zu Jahresbeginn 2023 ein Wechsel zu Högler, der Hudson bereits im Juniorinnen-Alter betreut hatte. Högler war selbst Olympiateilnehmer in Sydney 2000 und mit 84,03 m (1999) ist er noch immer heimischer Speerwurf-Rekordhalter. Er meistert den Spagat als Coach von Weißhaidinger und Hudson.
In weiteren Entscheidungen am Dienstagabend setzte sich bei den Männern im Hochsprung vor Heimpublikum Gianmarco Tamberi mit 2,37 m durch, den Dreisprung sicherte sich der Spanier Jordan Alejandro Díaz Fortun mit 18,18 m, den Zehnkampf gewann mit 8764 Punkten der Este Johannes Erm. Bei den Frauen gingen die 10.000 m der Frauen ebenfalls an Italien, Nadia Battocletti jubelte nach 30:51,32 Min. – sie hatte bereits die 5000 m gewonnen. Die 400 m Hürden der Frauen wurden in 52,49 Sek. eine Beute der Niederländerin Femke Bol und die 200 m in 22,49 Sek. der Schweizerin Mujinga Kambundji.