Die Wachablöse ist vollzogen. Weite Teile Fußball-Österreichs freuen sich über einen neuen Meister Sturm Graz, der nach einem Jahrzehnt Salzburger Monokultur die Bundesliga revitalisiert hat. Solch eine Spannung im Meisterrennen gab es zuletzt 2013 mit einem Titelträger Austria Wien. Während Graz nun wieder Fußballhauptstadt ist, zeigt der Erfolg von Sturm auch die Schnelllebigkeit des Business auf. Zunächst aber wartet ein Genussjahr im Konzert der Über-Großen.
Sturms Triumph ist die Konsequenz von beharrlicher Aufbauarbeit, die als zwingend notwendiger Neustart vor vier Jahren mit einer neuen sportlichen Führung Andreas Schicker/Christian Ilzer begann. Der unaufgeregte Ex-Profi Schicker (37), der den Kader auf seiner Almhütte plant, und der erfolgshungrige Trainer Ilzer (46), der den erlebten Unterhaus-Charme auf Lebzeiten inhaliert hat, ergaben auf Anhieb ein funktionierendes Tandem bei einem Club, den sie 2020 als blutleeren Meistergruppen-Sechsten übernahmen.
Aufstieg ist kein Zufall
Dritter (2020/21), erster Bullen-Jäger (2021/22, 2022/23), Europa-League-Stammgast (2021, 2022, 2023), Cupsieger (2023), Conference-League-Achtelfinalist (2024), nun Double-Sieger mit Eintrittskarte für die Champions League: Der Aufstieg steht im Zeichen der Rasanz, nicht aber des Zufalls.
Schicker legte den Ruf als „Lehrbub“ des ausgepowerten Sportchefs Günter Kreissl in Windeseile ab. Umsichtig baute er erst den Kader um, und verkaufte spätere Glücksgriffe wie Rasmus Höjlund (20 Mio. Euro/brutto), Emanuel Emegha (13,0) oder Kelvin Yeboah (5,25) mit zuvor an der Mur nicht gekannter Rendite. Ilzer indes scharrte ein mittlerweile stattliches Betreuerteam von positiv-verrückten Workaholics um sich zusammen. Selbst immer vorne weg marschierend, spielte der gelernte Elektrotechniker seine Qualitäten im Zusammenschweißen eines Teams aus - nicht zuletzt deshalb wurde 2023/24 nicht die individuell stärkste Mannschaft, sondern das beste Team Meister.
So feiern die Sturm-Fans das Double
Reich an Physis und Charakter
Der Erfolg ist auf breiten Schultern gebaut, Sturm stellt weder Torschützenkönig noch Vorlagenkaiser. Die Meistertruppe ist reich an Physis und Charakter, gewürzt mit spielerisch-feiner Note. Jon Gorenc Stankovic, Gregory Wüthrich, Otar Kiteishvili, Alexander Prass, Tomi Horvat und Jusuf Gazibegovic heißen die Säulen, die Sturm zum vierten Meistertitel (1998, 1999, 2011) in der 115-jährigen Vereinsgeschichte trugen. Die Mehrheit kickt zumindest im dritten Jahr in Graz und könnte das durch die Aussicht auf Champions-League-Auftritte noch ein bisschen länger tun. Leihspieler zahlten ihren Teil aufs Erfolgskonto ein.
Manche sagen, die Kopie hat nun das Original überflügelt. Tatsächlich setzt Sturm in Sachen Spielstil und Transferpolitik auf Bausteine, die auch Salzburgs Erfolg begründet haben. Mit Affinität zum Pressing und Intensität sowie der Verpflichtung junger „Transferaktien“ aus dem Ausland ist es aber nicht getan. Die Betonung einer auf Langlebigkeit ausgerichteten Achse am Feld und das Wissen um die Macht des ruhenden Balls, brachte Sturm Stabilität und durchschlagenden Erfolg. Und sie sorgt dafür, dass die Identifikation der treuen Fangemeinde mit ihrer Mannschaft nicht auf der Strecke bleibt, obwohl sich die Kernöl-DNA anders als in der Glanz- und Glamour-Zeit um die Jahrtausendwende mittlerweile fast ganz auf Entscheidungsträger am Spielfeldrand beschränkt.
Trotzdem ein paar Schwachpunkte
Kritikpunkte allerdings gibt es, etwa den Stellenwert der zweiten Mannschaft und Jugendabteilung. Auch die Infrastruktur-Misere, die nur zum Teil in den Händen Sturms liegt, ist eines Champions-League-Teilnehmers unwürdig. Während den Anhängern dieser Tage Parallelen zur bisher größten Club-Ära unter Ivica Osim vor Augen geführt werden, steht fest, dass die „Schwoazen“ zu Nomaden werden. Rauschende Königsklassen-Nächte in Graz-Liebenau wie vor einem Vierteljahrhundert sind 2024 mangels Stadiontauglichkeit abgesagt. Zum Glück steht in Klagenfurt unweit vom Wörthersee Sturms gern besuchte Wohlfühloase.