Jannik Sinner hat Titelverteidiger Novak Djokovic im Halbfinale der Australian Open entzaubert und erstmals ein Major-Endspiel erreicht. Der 22-jährige Italiener besiegte am Freitag in Melbourne den serbischen Weltranglistenersten sensationell mit 6:1,6:2,6:7(6),6:3. Für den 10-fachen Melbourne-Sieger war es die erste Halbfinalniederlage „down under“ überhaupt. Danach drehte Daniil Medwedew ein 0:2 in Sätzen gegen Alexander Zverev zum 5:7,3:6,7:6(4),7:6(5),6:3-Sieg.
Damit kommt es am Sonntag (9.30 Uhr/live Eurosport, ServusTV) zur Wiederholung des Wien-Finales 2023. Für Sinner geht es um den ersten, für Medwedew um den zweiten Grand-Slam-Titel seiner Karriere nach den US Open 2021. Besonders bitter war die Niederlage wohl für Zverev, der wie schon im US-Open-Finale 2020 gegen Dominic Thiem eine 2:0-Satzführung noch aus der Hand gab. Medwedew hingegen drehte wie schon in Runde zwei gegen Emil Ruusuvuori ein 0:2 in ein 3:2. Dieses Kunststück ist ihm in seiner Karriere zum vierten Mal gelungen.
Medwedew: „Physisch und mental sind fünf Sätze sehr hart.“
„Ich war ein bisserl verloren“, meinte Medwedew zu seiner Gefühlslage nach dem 0:2-Satzrückstand. Dann habe er sich gedacht, wenn er schon verliere, dann wolle er wenigstens stolz auf sich sein. „Jetzt bin ich sehr stolz. Ich war zwischendurch sehr müde. Dann habe ich plötzlich bessere Schläge gezeigt, in den Tiebreaks hatte ich auch Glück. Heute ist mein Tag.“ Er habe noch nie ein so hartes Turnier erlebt. „Physisch und mental sind fünf Sätze sehr hart.“
Bereits zuvor hatte Sinner mit dem Sieg über Djokovic die eigentliche Schlagzeile des drittletzten Turniertages geschrieben. Der „Djoker“ war danach konsterniert. „Er hat mich komplett deklassiert. Ich war schockiert über mein Niveau. Es gab nicht viel, was ich richtig gemacht habe“, sagte Djokovic und fällte ein vernichtendes Urteil. „Das war eines der schlechtesten Grand-Slam-Matches, das ich je gespielt habe, an das ich mich erinnern kann.“ Gleichzeitig müsse er Sinner zugutehalten, dass er alles besser gemacht habe als er, in jedem Aspekt des Spiels.
Sinner verwandelte nach 3:22 Stunden seinen zweiten Matchball. Für Djokovic endete damit eine beeindruckende Serie von 33 Siegen bei den Australian Open seit 2018, die bis dato letzte Niederlage des 36-Jährigen beim ersten Grand Slam des Jahres war vor 2195 Tagen. Im Finale spielt Wien-Sieger Sinner nun gegen Wien-Finalist Medwedew. Dabei hatte es lange danach ausgesehen, als würde der Deutsche seine überraschend starke Serie auch gegen den Weltranglistendritten Medwedew fortsetzen. Doch im 19. Aufeinandertreffen der beiden, dem ersten auf Major-Ebene, holte sich dann doch der Russe den zwölften Sieg gegen den Hamburger.
Sinner zog seine Lehren aus der Wimbledon-Niederlage
Sinner konnte sich das schon auf der Couch ansehen. „Es war ein sehr schweres Spiel. Ich habe richtig gut angefangen und hatte den Eindruck, dass er sich nicht richtig gut fühlt“, sagte Sinner nach seiner eindrucksvollen Vorstellung. „Ich habe letztes Jahr im Halbfinale von Wimbledon gegen ihn verloren, daraus habe ich viel gelernt“, sagte der Südtiroler. „Im Finale zu stehen, ist großartig. Ich werde mit einem Lächeln auf den Platz gehen.“
Sinner dominierte die Partie in der Rod Laver Arena zwei Sätze lang nach Belieben. Djokovic leistete sich viele vermeidbare Fehler, wirkte seltsam gehemmt und fand nie seinen Rhythmus. Sinner, der bereits Ende des vergangenen Jahres zwei von drei Duellen mit Djokovic gewonnen hatte, brauchte so nicht einmal sein bestes Tennis zu spielen, um sich nach nur 35 Minuten den ersten Satz mit 6:1 zu holen.
Auch im zweiten Durchgang bestimmte der Italiener in seinem erst zweiten Halbfinale auf Grand-Slam-Niveau das Geschehen nach Belieben. Djokovic trat auf seinem Lieblingsplatz ungewohnt emotionslos auf und ließ das Geschehen ohne große Regung über sich ergehen. Erst im dritten Durchgang steigerte sich der 24-fache Grand-Slam-Turnier-Sieger und wehrte einen Matchball ab, ehe er sich den Satz im Tiebreak sicherte.
Doch Sinner, der unglaublich aufschlug und Djokovic im gesamten Match keinen einzigen Breakball gestattete, blieb cool und zog im vierten Satz entscheidend davon. Seinen vergleichsweise verhaltenen Jubel begründete er später so: „Natürlich bedeutet es mir so viel, Novak hier in Melbourne zu schlagen, aber andererseits weiß ich, dass das Turnier nicht vorüber ist.“
Das Turnier ist noch nicht vorbei und doch können die Organisatoren vor dem Final-Wochenende schon eine gigantische Zuschauerzahl vor Ort verkünden: Nicht zuletzt dank des zusätzlichen Sonntags und inklusive der Woche vor dem Hauptturnier (also inklusive Qualifikation etc.) werden in Melbourne erstmals über eine Million Zuschauer im Melbourne Park begrüßt worden sein. Exakt 1.025.170, der bisherige Rekord lag bei 902.312 Fans.