„Wir sind glücklich hier und sehr stolz auf das, was wir hier zeigen“, sagt Lukas Hutecek und fügt an: „Das wollen wir noch einmal tun.“ Island stellt sich dem Team von Aleš Pajovič am Mittwoch (ORF 1 live, 15.30 Uhr) in Köln entgegen – auf der Landkarte mit 103.000 Quadratkilometern ein Zwerg ähnlich unserer Alpenrepublik (83.871). Doch im Handball ist die Insel eine große und stolze Nation. Regisseur Hutecek und Co vermessen die Handballwelt allerdings gerade neu und geben dafür auf dem Feld ihr letztes Hemd.
Der Körper des 23-jährigen Niederösterreichers ist geschunden, schmerzt. Er hat die bisherigen sechs Partien fast durchgespielt, lenkt mit Mykola Bilyk das System und stellt hinten den Mittelblock – mit vielen kraftraubenden Situationen im Eins gegen Eins. Ob Abwehrchef Lukas Herburger nach seiner Erkrankung am Mittwoch dabei ist? Fraglich. „Natürlich sind wir alle am Limit. Aber vor 20.000 Zusehern zu spielen, das hast du nicht oft in deiner Karriere und da zerreißt sich jeder.“ Ein großes Kompliment ist dem Lemgo-Legionär von Deutschland-Trainer Alfreð Gíslason zu Ohren gekommen: „Er hat nur gesagt: ,Wie können wir von Kraft reden, wenn Bilyk und Hutecek durchspielen.‘ Und wir werden auch gegen Island alles geben, bis wir nicht mehr können, um uns noch ein Spiel zu erarbeiten.“
Das Team ist eine eingeschworene Truppe, die Chemie ist freundschaftlich und respektvoll. „Es ist familiär und das ist Pajo auch sehr wichtig. Das spiegelt sich auf dem Feld wider“, sagt er und bezeichnet den Kreis liebevoll als „unsere Bagage“, die sich auch im Sommer trifft, um gemeinsam Zeit zu verbringen. Die Truppe hat Spaß in jedem Moment der EM. Abends sitzen sie lange zusammen, spielen Karten oder Mario Kart auf der Switch-Konsole. Auch das Zimmer der Physiotherapeuten ist stets voll. Die, die gerade nicht behandelt werden, „reden Blödsinn“ und sorgen damit für Unterhaltung. „Hute“ ist bei der EM Dauergast bei den Therapeuten. „Es gibt bessere und schlechtere Tage“, sagt er mit einem Lachen.
Entscheidungen werden respektiert
Die Stimmung ist formidabel. „Jeder Einzelne ist in diesem Team enorm wichtig. Natürlich ist es nicht einfach für die, die wenig oder keine Spielzeit bekommen. Aber es ist keiner böse und jeder respektiert die Entscheidungen von Pajo.“ So heizt etwa Jakob Nigg die Stimmung extrem an. „Er eskaliert komplett vor jedem Spiel und springt bei den Toren immer auf.“ Die Niederlage gegen Olympiasieger Frankreich bremste die Euphorie keine Sekunde. „Wir haben gezeigt, dass wir mit den Besten mithalten können“, sagt Pajovič, „leider ist uns nach 50 Minuten die Kraft ausgegangen. Ich bin sehr stolz auf die Jungs.“
Für Hutecek schloss sich mit dem Duell gegen Nikola Karabatić auch ein emotionaler Kreis. „Das erste Trikot, das ich bekommen habe, war vom THW Kiel. Mit seinem Namen darauf.“ Les Bleus hat mit dem Sieg über Österreich das Halbfinale fixiert. „Sie haben uns nach dem Spiel zu unserer Leistung bei der EM gratuliert und gesagt, dass wir die Handballwelt sehr auf uns aufmerksam gemacht haben.“ An Gratulationen mangelt es aktuell ohnehin nicht. „Drei, vier Nachrichten habe ich schon bekommen“, sagt Hutecek und lacht. Viele überfliegt er nur, „aber wenn ich mir alle dann in einem Monat durchlese, wird es sich noch schöner anfühlen.“
Für ein schönes Gefühl würde auch ein Sieg heute über Island sorgen. Die Insulaner sind bei der EM ihrem Anspruch wohl bisher nicht gerecht geworden, siegten zuletzt aber gegen Kroatien 35:30. Doch nicht nur darin liegt große Gefahr. Die geht vom starken Tempohandball mit Gegenstößen und Angriffen aus der ersten und zweiten Welle aus. „Ich hoffe, sie sind auch müde“, sagt Pajovič, „es wird sehr wichtig sein, dass unsere Verteidigung passt.“ Vor der EM ging sein Team zweimal in den Testspielen baden, doch da surfte Rot-Weiß-Rot auch noch nicht auf der Welle des Erfolges.