Linus Straßer tänzelte die Eispiste am Ganslern hinunter, spielerisch leicht sah es aus, was der 31-Jährige lieferte. Und als er als Vierter nach Lauf eins im Ziel war, eine Sekunde Vorsprung sah, da ahnte er wohl, dass er im Begriff war, seinen größten Traum wahr werden zu lassen: einen Sieg am Ganslernhang in Kitzbühel. Und wirklich: Knapp zehn Minuten später war der Sieg klar. Es ist ein historischer, in vielerlei Hinsicht. Nicht, weil es der vierte Weltcup-Erfolg des Bayern war. Nicht, weil er als vierter Deutsche nach Vater und Sohn Neureuther in Kitzbühel gewann, sondern weil er für einen „Kitzbüheler Heimsieg“ sorgte. Straßer ist Mitglied des Kitzbüheler Skiclubs. Und einen KSC-Sieg gab es hier zuletzt vor exakt 50 Jahren; von einem gewissen Hansi Hinterseer.
Straßer war ob des Erfolgs emotional: „Ich war schon bei zwei Olympischen Spielen, ich war bei Weltmeisterschaften. Aber dieser Sieg, der bedeutet mir mehr als Goldmedaillen bei Großereignissen. Aufgrund der Stimmung, die hier herrscht, aufgrund meiner Nähe zu Kitzbühel und meiner Geschichte.“ Denn Klein-Linus musste damals vor dem Skitrainer des Klubs vorfahren, um seine „Eignung“ zu demonstrieren. Und dieser Trainer ist heute Rennleiter der Hahnenkamm-Rennen: Mario Weinhandl-Mittermayer nickte nach Vorfahrt anerkennend und meinte: „Ja, du darfst kommen.“
Zu Beginn fuhr er auch für den KSV, gewann seine ersten Rennen. Und auch, wenn Straßer natürlich für Deutschland fährt und sich mit zwölf Jahren dem TSV 1860 München anschloss, so ist er eben auch nach wie vor KSC-Mitglied. Und er wohnt mit seiner Familie, Frau Maria und der einjährigen Tochter in München und Kirchberg. Für ihn war daher klar: Die „Mission Gams“ war steter Auftrag, vor einem Jahr scheiterte er knapp. „Aber der Glaube an die Gams, der war nicht verloren“, erklärte er, dazu passte die Form in diesem Jahr: „Ich fahre einfach saugut im Moment. Ich habe eine sehr stabile, zentrale Position über dem Ski, daher kann ich so spielerisch, leicht fahren. Und ich wollte hier nicht an den Start gehen, um Sechster zu werden – ich wollte angreifen. Dass die Mission jetzt erfüllt ist und ich sogar mit der ganz großen Gams für den Sieger nach Hause gehen darf, das macht mich emotional.“
In Wengen war er schon auf Kurs gelegen, fädelte dann aber nach Zwischenbestzeit ein: „Das ist der Sport. Aber ich habe es geschafft, dass ich mir trotzdem vertraue, nicht zurückstecke. Und das macht mich extrem stolz“, erklärte er. Feiern? Fehlanzeige. „Man denkt, dass man nach solchen Erfolgen feiern muss. Aber ich bin meist leer, wenn ich nach Hause komme. Ich genieße da die stille Zufriedenheit mit mir selbst. Vielleicht anstoßen ja, aber nicht viel.“ Zumal am Mittwoch das Rennen in Schladming wartet, das Straßer 2022 schon gewonnen hat. Bis es aber in die Steiermark geht, muss er auf dem Kasten Platz schaffen: „Da soll die Gams hin, neben die Glocken von Adelboden. Ich hoffe, da passt sie auch hin.“