Heimrennen sind speziell – vor allem wenn man das ÖSV-Logo auf der Brust trägt. In kaum einem anderen Land ist der Erfolgsdruck so hoch wie in der Alpenrepublik, während eines Weltcup-Wochenendes zu Hause erhöht sich dieser logischerweise automatisch um ein paar Prozent. Seit 2017 warten die rot-weiß-roten Frauen auf einen Heimerfolg. Die letzte Siegerin auf heimischem Boden? Christine Scheyer. Wo? Zauchensee. Sieben Jahre später ist am Gamskogel erneut alles angerichtet für den nächsten Heimsieg – meinen auch die Fans. Denn Conny Hütter und Co werden an diesem Wochenende überdurchschnittlich oft um ihre Unterschrift gebeten, posieren für Selfies oder lassen sich von manchen „Experten“ noch einmal die Ideallinie im Sessellift auf dem Weg zum Starthaus erklären – inklusive Erinnerungsfoto. „Ich plane beim Runterfahren schon mehr Zeit ein, damit ich alle Fotowünsche der Kinder erfüllen kann. Das ist natürlich schön“, sagt etwa Stephanie Venier zum Speed-Spektakel.
Spektakel vor allem deshalb, da die Kälberloch-Abfahrt zu den anspruchsvollsten Strecken im Weltcup-Kalender zählt. „Kitzbühel der Damen“, adelte sie der Stadionsprecher im Zielraum. Ganz so weit möchten die Österreicherinnen nicht gehen. „Es ist das Zauchensee der Damen“, scherzte ÖSV-Ass Hütter. „Aber es ist schon so, dass es dich etwas einschüchtert, wenn man sich alles hier anschaut, vor allem die Sprünge. Du musst dich überwinden. Aber es kann schon was, wenn man am Start schneller beschleunigt als ein Auto.“ Auf die Frage, welches Auto sie denn sei, bewies die Steirerin Fachkenntnisse im bergigen Gelände. „Vermutlich ein Lancia Integrale.“ Welches Auto Teamkollegin Venier favorisieren würde, verriet die Tirolerin zwar nicht, die Abfahrt in Zauchensee hat aber auch für sie einen speziellen Stellenwert. „Sie hat alles drinnen, ist technisch anspruchsvoll, hat Gleitstücke und am Start geht es schon richtig los.“
Scheyer im Aufwind
Neben Hütter und Venier ist in Zauchensee vor allem auch mit Christine Scheyer zu rechnen, die letzte rot-weiß-rote Siegerin bei einem Heimrennen. Auch wenn die bisherige Saison „mehr schlecht als recht“ war, reiste die Vorarlbergerin mit einem guten Gefühl an die Strecke. „Mittlerweile ist mein Sieg schon so lange her, aber auch davor war ich immer gerne hier, bin da auch meine erste Europacup-Abfahrt gefahren.“ Seit dem sensationellen Heimsieg 2017 gab es für die 29-Jährige aber nicht mehr viel zu feiern. Im Dezember 2018 riss sie sich Kreuzband und Innenmeniskus, 2020 musste sie ihre Saison nach Problemen mit ihrem Knie frühzeitig beenden. Aufhören war aber nie eine Option und so kämpfte sie sich Stück für Stück zurück. „Auch der Start in diese Saison war hart, ich habe immer wieder verkrampft, wenn ich aus dem Starthaus gegangen bin. Im Training ist mir aber ein echter Befreiungsschlag gelungen, Gefühl und Vertrauen sind langsam wieder da.“
Und wo, wenn nicht am Ort ihres bisher größten Triumphes, wäre es passender, dieses Gefühl endlich wieder in einem Rennen unter Beweis zu stellen. „Ich bin eine Gefühlsfahrerin und das habe ich mir in den letzten Wochen wieder aufgebaut. Wenn ich das fahre, was ich kann, schaut am Ende etwas Gutes raus“, ist sich Scheyer sicher und befeuert damit die Hoffnungen auf den ersten Heimsieg seit knapp sieben Jahren. Und auch Hütter sieht sich trotz einer durchwachsenen Fahrt im Training nicht ohne Chance. „Wenn ich noch einmal so runterfahre, bin ich nicht vorne dabei. Aber bei mir geht es im Rennen oft besser. Wenn man sich die Resultate in diesem Winter anschaut, dann ist ein Heimsieg schon realistisch“, sagt die Steirerin und stellt klar: „Einfach abholen kannst du ihn aber nicht. Du musst voll darum kämpfen.“