Der 27. Dezember 2022 war ein Tag in Österreichs Sportgeschichte, wie er nicht allzu oft vorkommt. Im Kurz-Liveeinstieg vor der Abfahrt in Bormio verkündete Matthias Mayer seinen Rücktritt vom aktiven Skisport. Eine Woche, nachdem er in Gröden Dritter geworden war und damit auf allen wichtigen Abfahrtsstrecken zumindest einen Podestplatz vorzuweisen hatte. Nicht einmal 24 Stunden nach dem ersten Training auf der Stelvio, auf der er noch auf Rang vier gefahren war. Doch im TV-Interview verkündete er das Ende seiner Laufbahn. Viele rätselten, ob es eine Rückkehr geben würde, die der Kärntner selbst einmal andeutete. Und tatsächlich: In Gröden 2023 kehrte Mayer zurück – allerdings nicht als aktiver Rennfahrer, sondern als Betreuer neben der Piste. Nicht als Trainer, sondern als „Mentor“. Als Ratgeber für seine ehemaligen Teamkollegen.

Ein Jahr später kehrt Mayer auch wieder zurück nach Bormio. Auf jene Strecke, auf der in zwei Jahren auch um Olympiagold in der Abfahrt gefahren werden wird. Jene Abfahrt, auf der auch Mayer gewonnen hat. Jene Strecke, auf der er im Vorjahr am 26. Dezember noch die viertschnellste Zeit im Training gefahren war, ehe er tags darauf einen Schlussstrich zog. „Für mich ist die Zeit gekommen, dass ich zurücktrete“, sagte er ins Mikrofon von Rainer Pariasek, stapfte aus dem Zielraum und setzte sich wie ein Tourist ins nächste Café. 365 Tage später ist die Lust, es noch einmal zu probieren endgültig vergangen. „Ich respektiere die Rennläufer, die sich voll rainhauen.. Aber mir taugt es, es von der anderen Seite zu sehen“, sagt er und ergänzt: „Das Rennfahren ist für mich weit weg. Es kommt mir so vor, nein, es ist ein neuer Lebensabschnitt. Und ins Rennfahren will ich mich nicht mehr reindenken. Ich kann nachfühlen, wie es den Athleten am Start geht, ich kann ihnen weitergeben, was ich sehe, aus anderer Perspektive. Aber das Gefühl, selbst runterfahren zu müssen, das habe ich nicht mehr.“

Natürlich reizt es ihn mitunter noch, den Unterschied schwarz auf weiß zu sehen, nach einem Jahr Pause. „Natürlich kann ich mir nach wie vor eine Linie denken, aber körperlich fühle ich mich nicht bereit“, sagt der Afritzer und ergänzt: „Wenn du vorne mitfahren willst, musst du dich fulltime damit beschäftigen. Das geht mir einfach ab. Ich habe sicher noch eine Grundkondition, es würde auch funktionieren, wenn ich fahre. Ich war früher auch oft bei den ersten Fahrten schon sehr schnell. Aber damals habe ich mich auch vorbereitet. Jetzt, ganz ohne? Das geht nicht.“

Die Rückkehr an den Ort, an dem er die Sport-Nation überraschte, lässt ihn kalt. „Wieso sollte sich da was schräg anfühlen? Ich habe abgeschlossen, der Jahrestag spielt da keine Rolle. Und Erinnerungen hat man ja viele, zum Glück sind es aber meist die Guten, die einem im Gedächtnis bleiben.“ So richtig leicht, über das Ende, das „Warum“ zu sprechen, fällt es Mayer nach wie vor nicht, möchte man meinen. Am Abend vorher, erzählte er in Gröden, sei der Entschluss gefallen, es sein zu lassen. Schließlich habe er eine Woche davor in Gröden mit Rang drei in der Abfahrt auch auf der letzten der wichtigen Strecken einen Podestplatz eingefahren, der Hunger war einfach weg. Und im Frühjahr, da stand dann fest, dass der auch nicht wiederkommen würde. „Ich habe ein Mail von der Anti-Doping-Behörde bekommen, dass ich mich sofort entscheiden muss, ob ich wieder fahre. Das wollte ich nicht, also hab ich gesagt: Danke, das war‘s.“ Das Fehlen der Verpflichtung, seinen Standort täglich auf dem Laufenden zu halten, täglich für Dopingproben zur Verfügung zu stehen – eine der größten Erleichterungen, sagt er.

Video: Das sagen die Ex-Teamkollegen zur „Rückkehr“ von Mayer

Dann gab es ein Gespräch mit Herren-Cheftrainer Marko Pfeifer, in dem über die Möglichkeit geredet wurde, als „Mentor“ dabei zu sein. Ein Anker für Mayer, der beruflich keine Ziele mehr verfolgen muss. „Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich mir keine Sorgen machen muss um meine Zukunft“, sagt der dreifache Olympiasieger – bei drei aufeinanderfolgenden Spielen Gold zu holen, das hat vor ihm noch keiner geschafft. Ob ihm da jemals die perfekte Fahrt gelungen ist? „Ich denke, schneller wird es immer gehen, eine Hundertstelsekunde findet man immer. Im Skisport gibt es viele schnelle Linien, es wird nie eine Fahrt, genauso sein, wie man sie sich vornimmt. Aber, wenn ich etwa an meinen Sieg in Kitzbühel denke: Das war schon sehr gut.“

Sein neues Ziel ist es, auch die Jungen heranzuführen. „Das Angebot wird gut angenommen, jeder Fahrer ist schon bei mir mir gewesen und hat gefragt. Und für die Jungen ist es sicher auch gut.“ Mayer pendelt zwischen Weltcup und Nachwuchs, wird nach Bormio noch in Kitzbühel dabei sein, die Europacup-Mannschaft etwa in Saalbach-Hinterglemm begleiten. Was er vermitteln will: „Ich will vermitteln, wie man mit Freude den Ski laufen lässt. Dass man den Ski nicht nur brutal runtertreten und herbiegen muss, weil das meist nach hinten los geht. Du brauchst einen Fluss beim Fahren, du brauchst das Vertrauen in die eigene Technik und ins Material. Dann geht viel.“ Und Mayer? Lässt es ruhig angehen: „Ich brauch es nicht mehr, im Mittelpunkt zu stehen. Ich habe das alles gehabt. Und derzeit kann ich mich gut verstecken, man erkennt mich kaum. Ich freue mich für die, die jetzt gewinnen. Früher war das manchmal schon stressig im Winter, da wurde man gehypt, oft im Fernsehen, alle Zeitungen voll, da wurde man dann auch privat beobachtet.“ Jetzt beobachtet Mayer seine früheren Teamkollegen.

Video: Das erste Interview nach dem Rücktritt vor einem Jahr