Alle acht Weltcupsieger der laufenden Skisprung-Saison kommen aus Österreich oder Deutschland. Noch deutlicher wird es beim Blick auf die Podestplätze: Nur drei Mal stand ein Skispringer, der nicht aus den beiden Gastgeberländern der Vierschanzentournee kommt, auf dem Stockerl. Eines steht vor Beginn der 72. Tournee also fest: Der jahre- oder fast jahrzehntelang gelebten österreichisch-deutschen Rivalität wird neues Leben eingehaucht.
In der jüngsten Vergangenheit war ebenjene ins Stocken geraten. Derzeit fliegt Stefan Kraft aber in Hochform auf und auch im deutschen Team ist die Hoffnung groß, erstmals seit Sven Hannawald (2002) wieder ein Wörtchen um den Gesamtsieg mitreden zu können. Martin Schmitt, selbst mehrfacher Gesamtweltcupsieger, Weltmeister und heute Experte und Co-Kommentator bei Eurosport, meint, dass es wohl in erster Linie Stefan Kraft zu schlagen gilt. „Er ist in einer wahnsinnigen Form. Er hatte zwar in Garmisch immer Probleme, das wird wohl wieder eine Herausforderung für ihn werden, aber in dieser Form ist er das Maß aller Dinge.“ Kraft hält bei fünf Saisonsiegen, das deutsche Duo Karl Geiger und Pius Paschke bei zwei bzw. einem. Dass es das Nationenduell wieder gibt, könne nur gut sein für die Tournee, sagt Schmitt: „Die Stadien werden voll sein.“
Die Rivalität zwischen Österreich und Deutschland hatte in der Vergangenheit mehr Brisanz als aktuell, sagt Schmitt. „Schon in meiner Zeit hat das abgenommen. Früher, als die Skispringer in Innsbruck noch an den Zuschauern zur Schanze hinaufgehen mussten, war da mehr Kontakt zu den Fans, da hat man sich schnell einmal etwas anhören müssen.“ Anhören musste auch er sich hie und da etwas. „Ich hatte 1999/2000 das Duell mit Andi Widhölzl, das er dann gewonnen hat. Zwischen uns war da gar nichts, es war alles fair. Aber im Vorfeld gab‘s da schon Sprüche, die ich mir anhören musste. Und auch heute noch anhören muss“, sagt Schmitt mit einem Lachen.
Schmitt hat 2014 seine Karriere beendet, mitten in einer Zeit, in der Österreich ein Fixticket auf den Gesamtsieg hatte. Zu Beginn dieser Serie, 2008/2009, war Wolfgang Loitzl „eine Überraschung, der auch über die Generalprobe in Engelberg in Form gekommen ist. Damit ist etwas entstanden, es war am Ende fast nichts Besonderes, die Tournee zu gewinnen. Sie war ihre Veranstaltung. Das war eine Wahnsinns-Ära.“
Schmitt: „Man braucht einen Lauf, in dem sich viel von selbst löst“
Schmitt selbst hat zwei dritte Plätze (2000 und 2001) als beste Tournee-Platzierungen zu Buche stehen. Für den Triumph beim größten, öffentlichkeitswirksamsten Skisprung-Wettkampf brauche es eine „außergewöhnliche Form. Man braucht einen Lauf, in dem sich viel von selbst löst. Das hatte Stefan Kraft zu Beginn dieser Saison.“ Wer seine Favoriten sind? „Der Gesamtweltcup lügt nicht“, sagt Schmitt – dort führt Kraft vor Andreas Wellinger und Karl Geiger. „Aber auch Überraschungen gibt es immer wieder bei der Tournee.“