Im Vorraum meiner Kindheit hingen zwei Bilder meines Vaters an der Wand. Auf einem war er mit dunkelbraunen Haaren und mir auf dem Arm zu sehen, auf dem anderen hielt er meine um zwei Jahre jüngere Schwester. Er war ergraut. Und jetzt weiß ich, warum. Heute ist meiner Tochter exakt 99 Tage alt und langsam sehe ich mehr graue Haare in meinem Bart. Die am Kopf sind schon weg.
Seit drei Monaten springe ich permanent zwischen emotionalen Extremen hin und her. Dieses verletzliche Wesen ist das Zentrum meines Denkens, mein größtes Glück und Sekunden später weiß ich nicht, wie ich das schaffen soll. Was muss ich tun, um ein guter Vater zu werden? Wie soll ich mit meiner wunderbaren Partnerin dieses Kind großziehen – oder sie die Kleine trotz mir? Welche Werte vermittle ich ihr? Und warum zum Himmel schreit sie jetzt schon wieder? Ich hab‘ sie doch gerade gewickelt und gefüttert. Und in meine Unsicherheit mischen sich noch die schlimmsten Feinde: gut gemeinte Ratschläge.
Permanent ahnungslos
Von der Ernährung über die richtige Art mein Kind zu tragen, die Temperatur des Flascherls, die Farbe des Bodys bis hin zur Frühförderung wird mir meine Ahnungslosigkeit permanent – oft ungefragt – vor Augen geführt. Scheinbar verbaue ich gerade die Zukunft meiner Tochter, weil ich ihr nicht Kontrastkarten vor die Augen halte und dabei Mandarin mit ihr spreche. Die Schatten unter meinen Augen aufgrund der schlaflosen Nächte sind zu wenig Kontrast für einen Uniabschluss, und mit einer Mandarine kann ich mich ohnehin brausen.
So wird das nichts mit der Hochbegabung. Ohne die geht ja offensichtlich ohnehin gar nichts, wenn ich so im Internet lese. Am besten gleich zum AMS mit dem Kind und gar nicht über die Volksschule nachdenken. Mich wundert es ja, dass ich mir die Schuhbänder halbwegs binden kann und nicht nur wie ein Hendl im Hof herumrennen. Immerhin hatten meine Eltern ja nicht einmal Spielkarten zu Hause (vielleicht habe ich deswegen ja auch keine Haare mehr am Kopf). Und ja: Sie bekommt einen Zutzi, schmore ich halt in der Hölle.
„Sie geben ja so viel zurück“
Wenigstens lerne ich jetzt was, und das vor allem über mich. Etwa, dass ich mit den vier Stunden Schlaf aus meinen 20ern absolut nicht mehr auskomme. Mein kinderloser, doch liebenswerter Kollege L. verwendet bei Kinderthemen stets (etwas süffisant) den Spruch: „Sie geben ja so viel zurück.“ Lustig. Aber es stimmt wirklich ein wenig, denn wenn meine Tochter morgens lächelt, sind die schlaflosen Stunden, die (über-)volle Windel und die fünf nötigen Flascherl vergessen. Pardon: verdrängt. Weil ich schaue ja trotzdem aus der Wäsch‘ wie ein Uhu nach dem Waldbrand.
Und so kann ich dann auch meiner Freundin erklären, warum ich schlaftrunken gegen 3.30 Uhr die pickige Pre-Nahrung in der gesamten Küche verteilt habe (auf das Flascherl gehört vor dem Schütteln doch ein Stoppel). Wenigstens habe ich nicht schon wieder was von der mühevoll abgepumpten Muttermilch (dem flüssigen Gold) verschüttet, sondern dieses Mal nur das „Kocherl“. Aus den meisten Fehlern lerne ich und begehe wenige ein zweites Mal. Aber ich fürchte, ich werde auf meiner Reise als Papa noch sehr viele machen und hoffe, mein kleiner Stern verzeiht sie mir.
Meine Tochter, ich liebe dich.