Das Ernst-Happel-Stadion war voll, abgesehen davon, dass die Deutschen von ihrem Platzrecht nicht zur Gänze Gebrauch machten. Die Stimmung entsprach der aktuellen österreichischen Feierlaune nach vollbrachter EM-Qualifikation und schon in Vorfreude auf die Endrunde. Der Gegner passte perfekt zum atmosphärischen Moment und es musste klar sein, dass sich Deutschland ungeachtet der vielfach nachgesagten Krisensituation nicht kampflos ergeben würde. Aber dennoch wurde man den Eindruck nicht los, dass diese Deutschen mit der großen Fußballnation derzeit nicht synchron laufen.

Schon nach 16 Minuten hätte es 1:0 stehen müssen. Michael Gregoritsch war ideal in den Raum gestartet, hatte alle Zeit der Welt und spielte den Ball Kevin Trapp in die Hände. Die hier schmerzlich vermissten Goalgetter-Qualität bewies allerdings in der 29. Minute Marcel Sabitzer. Der Dortmund-Legionär zog aus 14 Metern ab und fand mit zentimetergenauer Präzision die Lücke zwischen Stange und Trapp. Jetzt stand es wirklich 1:0. Der schnelle Angriff hatte die Blößen der deutschen Abwehr gnadenlos offengelegt.

Die Österreicher waren von Ralf Rangnick glänzend eingestellt und nahmen den deutschen Angriffsversuchen schon in deren Entstehungsphase den entscheidenden Wirkungsmoment. Sie fanden den richtigen Ausgleich zwischen der nötigen Ruhe im Aufbau und sehr gut getimten plötzlichen Tempowechseln, mit denen die Deutschen überhaupt nicht umgehen konnten. Fazit nach Hälfte eins: Die Auswahl des EM-Gastgeberlandes wirkte überfordert und mit dem Ein-Tor-Rückstand gut bedient. Auch die Spieler hatten ihr grundsätzliches Platzrecht, das Gästen gewährt wird, nicht beansprucht.

Starker Wiederbeginn

Schon gleich nach Wiederbeginn hätte Österreich erhöhen können, aber der Pass von Christoph Baumgartner auf den völlig freien Konrad Laimer ging gründlich daneben. Dafür demonstrierten die Deutschen, dass sie auch ihre Nerven offenbar nicht mehr im Zaum haben. Nach einem Foul von Leroy Sané an Philipp Mwene rastete der Foulende aus und nahm mit Rot unrühmlich Abschied von diesem Spiel. Das forderte die Österreicher geradezu heraus, die Offensive mit Nachdruck zu forcieren, die Absicht, diesem angeschlagenen Gegner noch mehr fußballerischen Schaden zuzufügen, war klar erkennbar. Dies geschah durchdacht, aber nach einigen Wechseln (inklusive Thomas Müller) konnten sich die Deutschen etwas konsolidieren. Ralf Rangnick wartete bis zur 69. Minute, ehe er erstmals tauschte. Und in der 73. Minute fiel das ersehnte zweite Tor. Baumgartner überhob Trapp, nach einer wunderbaren Aktion.

Und dann: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ wechselte sich mit der „La ola“-Welle ab, die durch das weite Rund des Stadion wallte. Es stimmt schon: Österreichs zehnter Sieg über den „großen Bruder“, noch dazu zu null, war einer der eindeutigsten. Ein glorreicher Abschluss eines großartigen Länderspieljahres. Was er nicht sein sollte: Ein Versprechen, dass es 2024 bei der EM ebenso läuft.