Die Christbaum-Suche
Im Jahr 1821 kam der Schauspieler Heinrich Anschütz (1785–1865), geboren in Luckau in der Niederlausitz, nach Wien; von seiner schlesischen Heimat her gewöhnt an den hell geschmückten Tannenbaum, wollte er dieses „liebliche“ Symbol auch bei seinem ersten Weihnachtsfest in der habsburgischen Metropole nicht missen – doch siehe da: Die katholischen Wiener standen seinem unschuldigen Ansinnen ziemlich hilf- und ratlos gegenüber. In seinen Erinnerungen, erschienen posthum 1866, erzählt der berühmte Burgtheatermime, Jahrzehnte hindurch ein Liebling des Wiener Publikums, von der großen Verwunderung, die er mit dem Kauf eines Weihnachtsbaums in diesem ersten Jahr seines Aufenthalts in der österreichischen Haupt- und Residenzstadt erregte. „Ich hatte Ende 1821 das erste Christfest in Wien zugebracht. Für einen Abkömmling protestantischer Eltern gehört das Bescherungsfest und die Feier der Sylvesternacht beinahe zu den Cultusgegenständen. Auf mich hatten sie von Kindesbeinen an einen ehrwürdigen Eindruck gemacht. Die ideale Richtung meiner Natur, der Reiz, den das Wunderbare und Märchenhafte von jeher auf meine Fantasie ausgeübt hatte, ließ mich mit der Weihnachtsfeier einen poetisch religiösen Grundgedanken verbinden und die Gegenwart trat fast in den Hintergrund, wenn süß die geheimnisvolle Zeit heranrückte. Ich war immer ein großer Kinderfreund gewesen. Kaum hatte ich daher einen eigenen Haushalt gegründet, als ich mich beeilte, dem Bedürfnisse meines Herzens zu folgen und die Christbescherung in immer größeren Dimensionen zu begehen. Hier konnte ich über meine Kräfte verschwenden. Als ich nun zur Weihnacht 1821 die vorbereitenden Einkäufe besorgen wollte, war ich nicht wenig erstaunt, auf beinahe gänzliches Unverständnis dieser lieblichen Feier zu stoßen. Es kostete mir Mühe ein Tannenbäumchen aufzutreiben. Als ich mein Verlangen auseinandersetzte, hörte ich an allen Verkaufsorten die verwunderte Frage: ‚Christbaumbescherung? Was ist das? Ah, Sie meinen den Niklo? …‘ Ich befand mich allerdings in einem katholischen Lande, wo man eigentlich von diesem Feste keine Notiz nimmt. Es war ja in Frankreich nicht anders. Dennoch wunderte ich mich, daß das lebensfrohe, fast kindliche Wien nicht längst eine freundliche Sitte nachgeahmt hatte, welche durch die Gemahlin des Erzherzogs Karl doch schon bekannt sein mußte. Und doch hatte dieses unvergleichliche Kinderfest factisch noch keine rechte Verbreitung gefunden. Ich war eine bekannte Persönlichkeit, meine Einkäufe und Anstalten fielen auf, ein Freundeskreis, der die Vorbereitung meiner Mysterien mit Interesse beobachtete, hatte nichts Eiligeres zu tun, als meinem Beispiel noch in demselben Jahre zu folgen, und ich kann wirklich sagen, daß mein Eintritt in Wien nicht wenig dazu beigetragen hat, das Christfest so schnell in allgemeine Aufnahme zu bringen, denn schon im nächsten Winter wurden förmliche Waldungen nach Wien geschleppt, und alle Spielwarenhändler und Kaufleute richteten sich für die neuen Marktbedürfnisse ein …“ Bestätigt wurde Heinrich Anschütz, unter dessen Gästen am Heiligen Abend 1821 sich unter anderem auch Franz Schubert befand, später von seiner Enkelin Emilie Koberwein, die Näheres von seiner mühevollen Suche nach einem Weihnachtsbaum zu berichten wusste: „Mein Großvater kam bekanntlich 1821 mit seiner Familie nach Wien. Er war aus seiner Heimat gewohnt, am heiligen Christabend einen Christbaum auf dem Tische aufzustellen, der mit Flitterwerk geziert war, und die an demselben angebrachten Kerzen vor dem Abendessen anzuzünden. Damals gab es in Wien noch keinen Christkindelmarkt und waren auch keine Tannenbäume in der Stadt zu kaufen. Mein Großvater fuhr also selbst in eine benachbarte Ortschaft, ich glaube in die Brühl bei Mödling – ganz genau weiß ich dies nicht mehr –, gab einem Bauern ein gutes Trinkgeld und brachte dafür einen mittelgroßen Tannen- oder Fichtenbaum mit nach Hause, den er zuerst vor den Kindern verbarg und dann heimlich schmückte, und am Christabend wurde derselbe angezündet und hierauf die Familie in das bisher verschlossene Zimmer eingelassen. Am Fuße des Christbaumes war eine kleine Krippe aufgestellt mit der heiligen Familie, dem Gloriaengel, den Hirten im Tale und der Erde usw. Der Großvater hielt dann gewöhnlich eine kurze, herzliche Ansprache, nach welcher alle Familienmitglieder und die Dienstboten Christgeschenke erhielten. Ob ein Choral gesungen wurde, erinnere ich mich nicht; ich wohnte als kleines Kind nur in den letzten Jahren der Familienfeier bei, die mir unvergeßlich blieb.“
Quellen: „Die Christbaum-Suche“ (S. 100 ff.): Heinrich Anschütz, Die Christbaum-Suche, aus: Heinrich Anschütz, Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866.
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