Vor knapp zehn Jahren, am 10. Mai 2014, gewannen Sie als „Conchita Wurst“ den Eurovision Song Contest in Kopenhagen. Wie feiern Sie dieses runde Jubiläum?
Tom Neuwirth: Ich feiere am 6. Mai in Schweden das Jubiläum. Der Sieg beim Song Contest war ja sehr besonders. Er machte mich schlagartig berühmt. Ich wurde über Nacht zu einer Ikone der queeren Community.
Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Weg zur Kunstfigur „Conchita Wurst“ überwunden? Wie sehen Sie sich als „Drag Artist“?
‚Drag‘ ist ein weiter Begriff. Ich mach mir ein schönes Gesicht, setz mir schöne Haare auf, zieh mir einen Fetzen an und geh. Schon als Kind habe ich gedacht: Warum soll ich nicht das Sommerkleid meiner Cousine anziehen und damit ins Schwimmbad gehen dürfen? Ich habe gemerkt, dass diese weiblich besetzten Kleidungsstücke in mir was entfesselt haben, was mich größer werden ließ, als ich war. Später lebte ich in Conchita meine Diva aus. Wir müssen respektvoll miteinander umgehen. Dann kannst du machen, was du willst.
Sie wechselten in das Schauspielfach, gaben im Februar Ihr Debüt im Wiener Rabenhof-Theater. Sie spielen „Luziwuzi“. Warum das?
Ich hörte vor einigen Jahren von „Luziwuzi“ und war fasziniert. Vor zwei Jahren bot mir die Regisseurin Ruth Brauer-Kvam die Rolle an. Ich habe mich sofort in die Figur verliebt. Auch aufgrund der Themen Freiheit, Individualität und Selbstliebe wollte ich sie unbedingt spielen. Solche Geschichten sollten dazu beitragen, eine vielfältigere Welt zu schaffen.
Worum geht es in dem Stück?
Die Rolle des Erzherzogs Ludwig Viktor. Er stammt aus der Queer-Community des 19. Jahrhunderts. Damals war Homosexualität strafbar. Er kam aus einer privilegierten Familie. Er hätte aber mit den Konsequenzen leben müssen, falls sein Lebensstil bekannt geworden wäre. Dies verdeutlicht die Doppelmoral, die auch heute in der Gesellschaft präsent ist.
Welche Rollen würden Sie noch gerne spielen?
Die Buhlschaft in „Jedermann“ zu spielen. Ich finde das konservative Thema ansprechend, die Figur würde gut zu mir passen. Ich möchte meine schauspielerischen Fähigkeiten erweitern.
Was halten Sie von Musicals?
Ich liebe Musicals, aber das ständige Wiederholen finde ich ermüdend. Ich schätze die Komplexität und Interpretationsfreiheit im Theater, während Musicals oft eine konstante emotionale Leistung erfordern. Ich hätte Spaß daran, Musicals zu spielen. Sie sind aber anstrengend und belastend für den Körper.
Sie haben die Grazer Modeschule besucht. 2011 haben Sie maturiert. Was nahmen Sie von dort mit?
Das Zwischenmenschliche war sehr wichtig: voneinander zu lernen, Ideen austauschen, sich hochzupushen. Das ließ die Kreativität wachsen. Ich bekam eine super Einstellung zum Handwerk, etwas anzufangen und auch fertig zu machen. Disziplin war wichtig. Ich habe voll viel fürs Leben gelernt.
Welche Mode hat Sie in der Schule inspiriert?
Die Kaiserin, diese Sanduhr, dieses Einschnüren, das Visuelle vor das Praktische zu stellen. So etwas liebe ich. Korsagen, Körper, die geformt werden.
Ist Mode für Sie Kunst oder Handwerk?
Bei der Mode braucht man das Handwerk, um das volle Potenzial zu erreichen. Richtig gute Designer können auch selbst Kleider nähen. Ich möchte umsetzen können, was ich entwerfe.
Derzeit wird über Kleiderordnungen in Schulen diskutiert. Wie stehen Sie zu Schuluniformen?
Es ist spannend, dass so etwas in Schulen thematisiert wird. Bei Schuluniformen verstehe ich den romantischen Zugang, dass alle super aussehen, wenn die Fetzen gut aussehen. Aber das nimmt etwas von dem Individualismus weg. Woher kommt das?
Wohl hauptsächlich, damit es kein Mobbing wegen eines anderen Kleidungsstils gibt.
Ich sehe den Mehrwert. Aber das ist keine Lösung, sondern eine Symptombehandlung. Wenn wir lernen, uns zu respektieren und unsere Individualität zu feiern, müssten wir nicht einen Teil von uns verstecken. Uniformen können vielleicht die Situation lösen, aber sie stellen uns in eine Ecke, die uns sagt: „Es gibt keinen Platz für deine Fantasien.“ Das sind für mich Alarmglocken. Wir sind alle gleich viel wert. Solche Kleidervorschriften sind der falsche Ansatz.
Sie treten am 19. Juli im Rahmen der Kulturhauptstadt Salzkammergut in Ihrem Heimatort Bad Mitterndorf auf. Können Sie sich vorstellen, dorthin zurück zu ziehen?
Vor zehn Jahren hätte ich gesagt: „Never gonna happen. Wie langweilig.“ Aber letztes Jahr habe ich mich ein bisschen mit meiner Heimat versöhnt. Ich habe die Schönheit der Region, des Handwerks und des Brauchtums mit ganz anderen Augen gesehen. Ich könnte dort Zeit verbringen. Aber für eine Dauer-Residenz bin ich noch nicht bereit. Ich brauche eine U-Bahn, die alle drei Minuten geht, und nicht einen Bus, der einmal am Tag geht.
Modeschule Graz