Mysteriöse Verbrechen gehören für Mia (Name geändert) zur Einschlafroutine. „Ich höre jeden Abend True-Crime-Podcasts und schaue mir auch viele Dokus an“, sagt die gebürtige Klagenfurterin, die aktuell in Wien lebt. Angefangen hat die Faszination in Hinblick auf Häftlinge, Verbrechen und Co. vor fast zehn Jahren. Dass sie selbst einmal näher an das Genre rücken sollte als ihr lieb sein würde, ahnte sie damals aber noch nicht.
„Ich bin 2014 einer Organisation beigetreten, die sich in Amerika für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt“, erinnert sie sich zurück. Über den Newsletter der besagten Organisation stieß sie auf eine Website, die Brieffreundschaften mit US-Häftlingen ermöglicht. Als sich Mia durch die Profile klickte, fiel ihr die Seite eines 21-jährigen Holländers auf. Er war zwar nicht zum Tode verurteilt worden, doch ihm drohten bis zu 40 Jahre Haft. „Die Geschichte dahinter hat mich interessiert“, erzählt Mia. „Er hat im Darknet eine große Menge an Drogen verkauft und flog dann nach Amerika, weil er sein Business abtreten wollte.“ Doch in den USA angekommen, klickten die Handschellen.
Auf TikTok ist es ein regelrechter Hype: Unzählige User – ein Großteil von ihnen Frauen – berichten dort von ihren Brieffreundschaften mit Häftlingen. Teils entwickeln sich dadurch sogar Beziehungen, die Risiken werden gerne unterschätzt und durchaus gefährliche Situationen sogar romantisiert. „Jeder Mensch weiß, dass er seine Abgründe hat und fürchtet sich davor“, sagt Psychiater Reinhard Haller. In irgendeiner Form müsse sich der Mensch mit solchen Dingen auseinandersetzen, erklärt er die Faszination True Crime. Mehr dazu hier. Doch was, wenn aus Faszination mehr wird? Dass solche Beziehungen auch böse enden können, musste Mia am eigenen Leib erfahren. Doch von Anfang an.
Zehn Jahre Gefängnis: Häftling als Freund
Als Mia dem jungen Mann den ersten Brief schrieb, wartete er noch auf sein Urteil: „Schlussendlich bekam er dann ‚nur‘ zehn Jahre.“ Die Anträge darauf, dass er seine Strafe in seiner Heimat absitzen kann, wurden abgelehnt. Die Jus-Studentin engagierte sich für den Häftling, der bald ihr Freund werden sollte, tauschte sich mit anderen Betroffenen in Facebook-Gruppen für „Prison-Wifes“, also Häftlings-Ehefrauen aus. Der Anwalt, für den sie arbeitete, unterstützte sie während der Corona-Zeit bei ihrem Antrag für „Compassionate Release“, also einer vorzeitigen Entlassung ihres Freundes. Im Laufe der Jahre investierte Mia nicht nur Zeit, sondern auch Geld in die Beziehung: „Wir haben viel telefoniert. Normalerweise stehen jedem Häftling zirka zehn Telefonminuten pro Tag zu, aber wir haben anderen Häftlingen ihre Minuten abgekauft und kamen so auf eine Stunde pro Tag.“
Alleine für die Telefonate gab Mia so einige hundert Dollar aus. Hinzu kamen Besuche in die USA. „Ich war die einzige Person, die ihn im Laufe seiner Haft besuchte“, sagt Mia. Für die Angehörigen ihres Freundes war eine Reise ins Gefängnis zu riskant, denn sie waren ebenfalls im Drogenverkauf involviert. „Wir haben uns gleich umarmt und geküsst, so als ob wir uns schon ewig kennen“, beschreibt Mia die erste Begegnung. Sechs Stunden saß das Paar händchenhaltend im Besuchszimmer und redete.
„Im Nachhinein war es verrückt“
Für ihre Beziehung ging Mia auch so manch Risiko ein, schmuggelte Kontaktlinsen, die er dort nicht tragen durfte, für ihren Freund ins Gefängnis – teils per Post, teils persönlich. Weil er mit den Linsen ertappt wurde, musste er sogar eine Zeit in Einzelhaft verbringen. „Im Nachhinein betrachtet ist das, was ich für ihn gemacht habe, wirklich verrückt. Hätten sie mich erwischt, wäre ich dort gelandet, wo er war.“ Für Außenstehende mag Mias Geschichte skurril erscheinen, doch für sie fühlte sich alles richtig an – zunächst. Mias Umfeld reagierte ebenfalls skeptisch: „Schlussendlich ist es dann so ausgegangen, wie es alle erwartet haben, aber man muss so eine Erfahrung trotzdem selbst machen.“
Auch nach der vorzeitigen Entlassung ihres Freundes - er kam nach sieben Jahren frei - ging die Beziehung weiter. Um zu erklären, woran sie nach acht Jahren scheiterte, muss Mia etwas ausholen. In der Haft gab es einen Vorfall. Was genau passiert ist, weiß Mia bis heute nicht. Doch ihr Freund musste daraufhin starke Medikamente nehmen, sein Wesen veränderte sich. All das gipfelte in einem Suizidversuch.
Für Mia war diese Zeit der absolute Horror: „Aus dem Gefängnis gab es kaum Informationen.“ Nach seiner Freilassung hatte sie mit der Beziehung zunächst abgeschlossen, zuletzt hatte ihr Freund ihr auch erzählt, dass er sich in eine Gefängniswärterin verliebt hatte: „Ich wusste, es wird nicht funktionieren.“ Doch nachdem er - über Umwege - wieder zurück nach Europa kam, stand er eines Morgens plötzlich vor Mias Büro. Sie entschloss sich, ihm noch einmal eine Chance zu geben: „Ich hatte schon so viel Zeit und Energie in diese Beziehung investiert.“ Noch wollte sie ihn nicht aufgeben.
Weil eine Fernbeziehung zwischen Holland und Wien auf Dauer nicht möglich war, wanderte das Paar nach Malta aus. Die Zweifel blieben: „Am Abend, bevor mein Flug ging, bot mir mein bester Freund an, dass ich einfach bei ihm in Wien unterkomme.“ Fast hätte Mia das Angebot angenommen: „Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits meinen gesamten Besitz nach Malta geschickt. Deshalb habe ich gesagt, ich schau’ mir das ein Jahr lang an.“
Die Monate vergingen, aber die Klagenfurterin fühlte sich in Malta nie so richtig wohl. Ihr Freund hatte Aggressionsprobleme, konnte sich an das Leben außerhalb des Gefängnisses nicht gewöhnen. All das gipfelte in einem Streit, bei dem er Mia würgte und sie die Polizei rief. Der Tropfen, der das Fass für Mia endgültig zum Überlaufen brachte, war jedoch ein anderer: Ihr Freund rauchte immer häufiger Gras und fing an, es selbst anzubauen. Vor seiner Verhaftung hatte er dank seines Drogengeschäfts wie ein Millionär gelebt, erzählt die Kärntnerin. An einen normalen Job konnte sich der Ex-Häftling nie gewöhnen.
Auf die Trennung folgt die Erleichterung
„Er hat eingesehen, dass unsere Beziehung nicht funktioniert. Am nächsten Tag bin ich heimgeflogen“, erzählt Mia. Das war im Juli 2022. Die nächsten Monate sollte sie in Kärnten verbringen, sich in die Arbeit stürzen, während er sich mit anderen Frauen ablenkte, wie Mia auf Instagram beobachten konnte. Was sie in der Zeit fühlte? „Vor allem Erleichterung.“
Seit Mai lebt Mia wieder in Wien - im gleichen Haus wie zuvor, aber in einer größeren Wohnung. Bei der Arbeit läuft es grad richtig gut. Erst vor Kurzem hat sie zusätzlich ein Gewerbe angemeldet. „Ich bin wieder glücklich. Auch meine Freunde bemerken, wie meine Augen wieder strahlen“, erzählt die junge Frau. Zu ihrem Ex hat sie keinen Kontakt mehr. An Dating denkt sie aktuell nicht. Inwiefern sich das Erlebte auf künftige Beziehungen auswirkt, weiß sie noch nicht. Auf die Frage, ob sie die Erfahrung bereut, hält sie kurz inne: „Einerseits waren die Jahre schon eine Verschwendung, aber andererseits... wer weiß, wo ich sonst jetzt wäre. Ich versuche, immer das Positive zu sehen.“ Dennoch: Eine weitere Brieffreundschaft mit einem Häftling würde sie nicht eingehen.