Dieser Text ist mit vielen Möglichkeiten und positiven Perspektiven bestückt. Doch der Beginn ist einem Gefühl gewidmet, das aktuell zu dominieren scheint: die Annahme, dass wir heute in der schlimmsten Welt aller Zeiten leben. Zukunftsforscher Matthias Horx sagt zu dieser Beschreibung "Gegenwartseitelkeit", ein narzisstischer Gedanke, den man bis ins alte Ägypten zurückverfolgen könne. "Es war praktisch immer jene Zeit, in der man lebte, die gerade gefährlichste, schwierigste und endzeitlichste. Das hängt auch mit der Existenzialität des Menschen zusammen. Wir sind bedrohte, sterbliche Wesen."
Aber stimmt es denn gar nicht? Angesichts von Krieg, Klimakrise oder Wohlstandsverlust? "Ich glaube, es ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das auch eine sehr große Jammerbereitschaft mit sich trägt. Wenn es schwierig wird, dann neigen wir als mediale Gesellschaft dazu, wirklich die Nerven wegzuschmeißen. Das ist aber nicht gesund. Wenn man das in seinem privaten Umfeld macht und alles nur bejammert und beklagt, dann wird man schnell alle seine Beziehungen ruinieren. Ich finde, wir sind für unsere Zukunftsstimmung auch selbst verantwortlich. Es gibt so etwas wie eine Pflicht zur Zuversicht."
Was für Horx ausschlaggebend ist für die Ohnmacht und die negative Weltsicht vieler Menschen? Die Hypermedialität. "Der Kampf um eine rare Ressource, nämlich die menschliche Aufmerksamkeit, hat zu einem Hauen und Stechen auf allen Kanälen geführt. Dort, wo ich hinklicke, erhöhe ich Werbeeinnahmen und es ist also ein ökonomisches, aber auch ein politisches Geschäftsmodell. Das hat auch in den Medien zu einer Evolution ins Schrille, Absurde, Überzeichnete geführt. Und es fußt auf einem Phänomen, dass eine negative, angstmachende Botschaft immer im Faktor zehn zu eins stärker wirkt. Ängste sind Wertschöpfungskonzepte." Auch politisch. Man könne, so Horx, davon ausgehen, dass jede Diktatur eine apokalyptische Narration, also Erzählung braucht. Gesellschaften können sich tief in Hysterie hineinsteigern, und dann wird der Untergang zu einer "Sich-selbst-erfüllenden-Prophezeiung". Mit dem "unfassbaren Ressonanzsystem, das die Menschheit über die Erde gezogen hat, können wir uns zu ängstlich neurotischen Menschen erziehen. Dabei übersehen wir, die Zukunft als Möglichkeitsraum zu betrachten".
Womit wir zu dem positiven und konstruktiven Teil dieses Textes kommen dürfen. Denn eine Krise, wie wir sie gerade erleben, ist immer auch ein Zeichen, dass etwas nicht mehr in derselben Art und Weise betrachtet werden kann, weil es keinen Erfolg mehr hat. "Es wirft uns aus der Bahn, aber wir haben zwei Arten, damit umzugehen. Entweder Verbitterung, Wut, Verschwörungstheorien und das Verschieben des Problems auf Schuldige. Oder: Katharsis, also neu anfangen zu denken. Wir haben von der Evolution ein tolles Geschenk bekommen, wir haben ein Bewusstsein, wir können über das, was wir denken und wahrnehmen auch reflektieren. Es ändern. Wir können Szenarien entwickeln, Visionen entwerfen und wir sind die einzige Spezies, die das kann." Das allerdings ist trotz dieser großen Gabe nicht so leicht. Anstatt sich dauernd zu fragen, "was auf uns zukommt"; könnten wir es ja einmal umdrehen und uns fragen: Was will denn die Zukunft von uns? "Sie will, dass wir ein Wirtschaftssystem jenseits von fossilen Energien bauen, aber das ist eine unfassbar komplexe Aufgabe, wir sind als Kultur, als Individuen, quasi mit fossilem Denken aufgewachsen. In unserem Kopf regiert das Benzin." Um sich also diesen schwierigen Fragen zu nähern, verwendet der Trend- und Zukunftsforscher das Wort Possibilismus. "Es wird immer etwas anderes möglich sein als das, was heute vorherrscht. So zu denken ist anders als Optimismus, im Sinne: Alles wird gut! Und es ist auch etwas anderes als Pessimismus, der sagt: Es geht sowieso alles den Bach hinunter!"
Landkarte der Megatrends
Wichtig für diese Art von Möglichkeitsräumen werden neue Kulturtechniken, die auch einen anderen Umgang mit Digitalisierung erfordern. "Der Trugschluss liegt darin, dass man denkt, mit Digitalität menschliche Kommunikation ersetzen zu können. Es ist aber eine Illusion. Und auch wenn wir seit Corona wissen, dass eventuell sogar 80 Prozent aller Termine digital machbar sind, braucht man analoge, physische Gegengewichte. Nämlich dann, wenn etwas Neues beginnt, man Innovationen versucht, wirkliche Beziehungen aufbauen möchte. Heute aber geht es genau darum: neu anzufangen, aufzubrechen. Das Digitale im Sinne des Humanen zu differenzieren, ist eine große kulturelle Aufgabe, aber wir werden uns durch die Irrtümer digitaler Übertreibungen nach vorne stolpern müssen."
Die Megatrend-Landkarte, die Horx mit seinem Thinktank erstellt hat, muss ebenfalls neu betrachtet werden, denn "alle großen Trends geraten derzeit durcheinander. Sie entwickeln eine neue Richtung. Das kommt einem Epochenwechsel nahe". Einen Trend sieht Horx aber bereits. Es sind Frauen. "Die männliche Sichtweise ist eben oft sehr linear, funktional, auf Kontrolle ausgerichtet. Wir werden andere Denk- und Fühlmuster brauchen, die auf Beziehungen statt auf ständige Steigerung aufbauen. In der Lebenswirklichkeit haben Frauen immer den Laden zusammengehalten. Und gerade jetzt, wo wir in einem Epochenwechsel zwischen verschiedenen Kultur- und Wirtschaftsmodellen stehen, geht es um das Zusammenfügen, nicht das "Immer-Weiter-So".