Liebe Christl Clear, Sie sind in Wien geboren und Österreicherin. Wie haben Sie gemerkt, dass Sie als schwarzes Mädchen bei uns trotzdem anders behandelt werden?
CHRISTL CLEAR: Es gab zwei einprägende Erlebnisse: Zum einen wurden ich und ein anderes Mädchen mit türkischem Hintergrund einmal als einzige Kinder der gesamten Klasse nicht zu einem Geburtstag eingeladen, weil die Eltern des Mädchens meinten, „N****innen und Türken dürfen nicht kommen, weil sie grauslich sind“. Und zum anderen als meine Volksschullehrerin verhindern wollte, dass ich ins Gymnasium komme, und mich ständig schlechter benotet hat, als sie sollte. Irgendwann hat es meiner Mutter gereicht, sie ist in die Schule gekommen und hat die Lehrerin dazu gezwungen, mich live noch mal abzuprüfen. Ich habe tadellos abgeschnitten und alles, was die Lehrerin vor mir zu meiner Mutter gesagt hat, war: „Kinder aus Afrika werden sowieso nicht ins Gymnasium aufgenommen. Die Plätze sind für Österreicher reserviert.“ Neun Jahre später, nachdem ich in der Oberstufe eine Ehrenrunde gedreht habe, habe ich maturiert.
Heute sind Sie erfolgreiche Unternehmerin und vor allem auf den sozialen Medien haben Sie eine enorme Reichweite. Wie viel Rassismus steckt heute noch in Österreich?
In Österreich ist Rassismus ein großes Thema, obwohl wir hier meist nicht von ganz offensichtlichem, sondern eher von Mikro-Aggressionen sprechen. Also ich bin schwarz, eine Frau, über 40 Jahre alt und nicht schlank. Ich falle also aus vielen normschönen Mustern heraus. Und manchmal muss ich überlegen, welche Diskriminierung jetzt gerade spürbar wird. Also, wenn jemand sagt: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“, oder mir einfach ungefragt in meine Haare greift, solche Dinge meine ich. Die Leute sind überrascht, dass ich mich so gut artikulieren kann, dass ich einen Job habe, dass mein Mann, der weiß ist, mein Mann ist, und die Liste ist unendlich fortsetzbar. Deshalb hasse ich den Satz: „Es ist eh schon so viel weitergegangen.“ Das klingt wie eine Ausrede, denn es ist viel weitergegangen, aber wir sind wirklich noch lange nicht da, wo wir hingehören. Und zwar beim Thema Rassismus, aber natürlich auch bei allen anderen Themen wie intersektionalem Feminismus.
Darf ich kurz bei diesem Satz bleiben: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Was erwidern Sie?
Es kommt auf die Situation und auf meine Stimmung an. Aber meistens frage ich, wieso es überraschend ist, dass ich nicht nur perfekt Deutsch, sondern auch Wienerisch spreche, oder ich antworte mit einem „Sie aber auch! Gratuliere.“
Ihre Familie kommt aus Nigeria. In welchen Momenten profitieren Sie denn von diesem anderen kulturellen Hintergrund?
In Österreich bewegt man sich gern innerhalb der Box. Regeln sind da, um sich daran zu halten, und Vorschrift ist Vorschrift. Das bekommt man schon von klein auf so eingeimpft, dass es später vielen schwerfällt, außerhalb der Box zu denken. Wenn man aber – so wie ich – ein Kind der nigerianischen Diaspora ist, und seine Wurzeln in einem Land hat, in dem die Bevölkerung manchmal kreativ sein muss, um zu überleben, aber hier geboren und aufgewachsen ist, dann bekommt man das mit und kann es im Alltag zu seinem Vorteil nutzen, einen anderen Blickwinkel auf Dinge zu haben. Wobei ich sehr wohl verstehe, warum Österreich Regelkonformität liebt und lebt und dass eben diese Korrektheit dazu führt, dass man hier in vielen Belangen ein sehr bequemes Leben leben kann. Auch wenn wir dazu tendieren, zu vergessen, wie gut es den meisten von uns hier geht –sofern man eine Staatsbürgerschaft hat und vor allem, wenn man nicht aus der gesellschaftlich erwarteten Norm fällt.
Und was könnte die weiße Mehrheitsgesellschaft in Österreich in Sachen Leichtigkeit von Menschen wie Ihnen lernen?
Ich kann nur über die österreichische weiße Mehrheitsgesellschaft sprechen und natürlich nur aus meiner Perspektive, aber im Grunde steckt die Antwort eh schon in der Frage. Leichtigkeit. Ich glaube, viele Menschen würden sich hierzulande wundern, wie viel besser es ihnen gehen würde, wenn sie etwas locker lassen würden, offener gegenüber Neuem und Fremden sein würden, und wie sehr das ihr Leben bereichern würde. Ähnlich glaub ich auch, dass ein offener Umgang mit Kommunikation und Trauma vielen Menschen das Leben hier erleichtern würde.
Sie haben einmal gesagt: „Österreich hat ein Kommunikationsproblem.“ Was meinen Sie damit?
In Österreich gibt es Generationen, deren Eltern oder Großeltern im Krieg waren und die keine Zeit hatten, ihren Kindern Kommunikation beizubringen oder liebevoll zu sein. Und auch wenn das jetzt ganz banal runtergebrochen klingt, denke ich, deshalb ist Österreich so passiv-aggressiv. Wir wissen oft nicht, wie wir miteinander reden sollen, auch wie wir mit Emotionen umgehen sollen.
Der Umgang mit Emotionen, das ist auch für Männer ein Nachteil, aber andererseits wird es noch immer als „Stärke“ gesehen, wenn Männer keine Emotionen zeigen. Ist das in Österreich besonders prägnant?
Also es klingt zwar hart, aber tatsächlich glaube ich, dass die Wurzel allen Übels im Patriarchat liegt. Denn darunter leiden alle, also alle Menschen. Und dabei geht es nicht darum zu sagen, dass Männer schuld daran sind, man sollte eher sehen, wo auch Männer leiden. Nämlich zum Beispiel, weil sie ihre Emotionen nicht offen zeigen können, weil es gesellschaftlich immer noch als Schwäche gilt, wenn Männer Gefühle zeigen.
Sie pflegen auf Ihren Social-Media-Kanälen meist einen versöhnlichen Ton, oft auch mit Pointen. Wie gelingt Ihnen der konstruktive Diskurs und mit wem führen Sie ihn?
Also ich diskutiere viel, aber ich überlege auch, wo zahlt es sich aus, denn das Internet ist laut und manchmal muss auch ich hier auf Abstand gehen, weil ich vor lauter Gebrüll nichts mehr verstehe.
Wann zahlt sich Diskurs aus für Sie?
Ein Beispiel: Unlängst hatte ich ein Gespräch mit einem Schulfreund, der sagte über eine Person, das sei eine „Pussy“. Und ich hab ihm gesagt, dass er das nicht mehr sagen kann, weil so eine „Pussy“ hat ihn auf die Welt gebracht und nichts daran ist schwach. Er hat gemeint, er hätte noch nie drüber nachgedacht und meinte: Ja, da hast eigentlich recht.
Gerade Wien ist weltberühmt für seinen Grant. Fühlen Sie ihn auch?
Ich bin gern Wienerin und ich liebe Österreich, aber ich sehe auch, wie gut es den meisten geht. Es muss, so denke ich, anstrengend sein, permanent so grantig zu sein.
Mehr Infos über die Arbeit und die Projekte von Evelyne Faye sowie die Möglichkeit, an ihren Initiativen teilzunehmen, finden Sie hier.