Liebe Frau Faye, jetzt sind überall in Österreich Ferien. Das ist vor allem für die Kinder toll, Eltern hingegen kämpfen mit den neun Wochen, für die man Betreuung schaffen muss. Ist das in Frankreich anders?
EVELYNE FAYE: Ich bin gerade am Weg nach Frankreich und es ist da nicht anders, es gibt acht Wochen Ferien und man organisiert sich, abgesehen von einer gemeinsam verbrachten Ferienzeit, natürlich auch Betreuung. Entweder die Großeltern oder wenn es die nicht gibt, eben Sommercamps.


Sie sind in Paris geboren, haben bis 19 Jahren auch dort gelebt und sind über ihre Studienzeit erst in Deutschland gewesen, und schließlich in Österreich geblieben. Frankreich gilt in Sachen Kindererziehung als streng. Wie erleben Sie sich als Mutter von drei Kindern?
Ich finde es interessant, dass Frankreich als streng wahrgenommen wird, denn ich finde, man setzt dort nur auf stärkere Strukturen. In Österreich ist das Kind König, alles folgt den Wünschen des Kindes, als Elternteil ist man viel eher der Diener und in Frankreich ist es eher umgekehrt. Man hört natürlich auf die Kinder, aber sie müssen sich auch anpassen, sie laufen eben eher mit.

Dass man die eigenen Kinder in den Mittelpunkt stellt, das ist doch nicht so überraschend, oder? Was konkret ändert denn der Zugang, wie Sie ihn beschreiben, wenn Kinder "mitlaufen"?
In Frankreich dürfen Kinder nicht immer alles selbst entscheiden. Nehmen wir etwa das Essen. Viele Familien erzählen mir, dass ihre Kinder nichts anderes als Pasta und Pizza essen würden. Das war in meiner Kindheit undenkbar und das gibt es auch heute bei uns zu Hause nicht. Im Grunde müssen Kinder erst einmal alles kosten. Ich habe ein kleines Kochbüchlein aus Frankreich nach Österreich mitgebracht und dort stehen viele Rezepte für Suppen und Pürees, nicht nur aus Kartoffel. Vielleicht lag es also auch daran, denn alle drei Kinder sind gute Gemüse und Salat-Esser.

In Österreich ist die Geburt eines Kindes oft auch zugleich das Ende einer beruflichen Karriere für die Frau, denn längere Karenzzeiten und eine hohe Wahrscheinlichkeit, später nur noch Teilzeit zu arbeiten, ist für viele Realität. Die Hälfte aller Menschen in Teilzeit sind in Österreich Frauen und die Gründe sind oft Kinder. Sind das nicht auch einfach schlechte Rahmenbedingungen?
Manche Freundinnen in Frankreich machen es so: Wenn das Kind sechs Monate ist, dann kommt es zu einer Tagesmutter, aber die wird gemeinsam organisiert, also man zahlt diese Person gemeinschaftlich und ab drei Jahren startet die Vorschule. In Österreich habe ich es genossen, etwas länger bei den Babys zu bleiben, aber ich habe auch gemerkt, dass man plötzlich in eine "Du bist nur noch Mutter"-Rolle rutscht und für mich war es daher wichtig, zumindest einen Teil meiner Filmarbeit machen zu können. Was mich in Österreich immer wieder erschüttert, ist, dass ich am Spielplatz so viele Frauen treffe, die alle Universitätsabschlüsse haben, aber dann in einem Teilzeitjob feststecken, der es ihnen unmöglich macht, wieder in eine verantwortungsvolle Position zurückzukehren. Das sehe ich problematisch, denn man fällt als Frau damit in eine Falle. Du kannst dich selbst finanziell nicht mehr tragen, wirst also abhängig von deinem Partner und das alles ist zudem schlecht für das Selbstbewusstsein und die persönliche Entwicklung. Diese Abhängigkeit bleibt dann und es entsteht eine Schieflage, die das Beziehungsgefüge zwischen den zwei Elternteilen verändert. Also ja, ich finde, es ist wichtig, dass man als Mutter und als Vater immer auch noch diese professionelle Person bleiben kann und in Österreich habe ich einfach das Gefühl, dass viel zu viele Frauen auf diese Laufbahn verzichten müssen.

Im Deutschen gibt es den Begriff Rabenmutter, dann kümmert man sich zu wenig ums Kind. Das Gegenteil wäre die Helikoptermutter, die sich dann zu viel kümmert. Es richtig zu machen, ist also schwer für Mütter – verstehen Sie warum?
Ich finde es eine Unverschämtheit, dass man Frauen und Mütter so unter Druck setzt. Es sollte viel eher im Jahr 2023 bessere Möglichkeiten geben, dass Männer in Karenz gehen, es sollte eine gemeinsame Sache sein, denn wenn ein Baby nicht mehr gestillt wird, dann gibt es kein Argument, warum nicht der Vater oder auch eine andere Bezugsperson sich mit dem Kind auseinandersetzt. Ich hatte selbst auch eine dritte Bezugsperson und das hat mir sicher nicht geschadet, im Gegenteil. Ich habe vielleicht früher erkannt, dass ich mich anpassen kann und damit autonomer werde.

Ich möchte auf ein persönliches Thema kommen, Ihre Tochter Emma-Lou ist mit dem Downsyndrom geboren. Sie ist jetzt elf Jahre alt. Gilt die Struktur Ihrer Erziehung auch in Ihrem Fall?
Nein, Emma-Lou hat besondere Bedürfnisse, sie muss viel stärker arbeiten, um Dinge, die für die anderen beiden Kinder ganz selbstverständlich sind, hinzukriegen. Wie deutliches Sprechen oder bessere Motorik. Aber sie ist Teil dieser Familie und damit genauso in den Strukturen eingebunden.

Wie inklusiv ist das österreichische Bildungssystem?
Was man schnell merkt, ist, dass ein Kind mit Behinderung die Gefahr birgt, in eine Parallelwelt abgeschoben zu werden. Das fängt beim Kindergartenplatz an, geht weiter über die Volksschule – wir haben etwa kein gutes, öffentliches Angebot gefunden, also war sie jetzt in einer inklusiven Montessori Volksschule und jetzt wird sie in eine Neue Mittelschule wechseln, die inklusiv, aber eben eine ehemalige Sonderschule ist. Es gibt Bemühungen, aber bis jetzt sind die öffentlichen Strukturen noch immer unzureichend.

Der steirische Schauspieler Michael Ostrowski hat ebenfalls einen Sohn mit Downsyndrom, er kämpft für eine längere Schulausbildung, denn jetzt werden diese Kinder mit 16 Jahren ausgeschult. Sie unterstützen ihn. Was wäre ein guter Weg?
Kinder mit Lernschwierigkeiten werden ausgeschlossen. Und das ist ein Skandal. Deshalb haben wir diese Initiative unterstützt, damit sich der Druck vor allem auf die Politik erhöht. Denn jetzt ist es so, dass diese Menschen in Tagesstätten abgeschoben werden und Taschengeld bekommen, anstatt sich zu überlegen, sie als Teil der Arbeitswelt zu sehen, in der es für alle Menschen einen Platz geben sollte. Unsere Gesellschaft wird bereichert, und die Autonomie dieser Menschen erhöht sich. Es ist wichtig, dass man diese Menschen wertschätzt und das beginnt mit der Möglichkeit, eine angemessene Ausbildung zu erhalten. Dass so etwas geht, zeigen uns einige Modelle in skandinavischen Ländern.

Sie haben zu dem Thema der Autonomie von Menschen mit Downsyndrom auch einen Film gemacht, er heißt "Lass mich fliegen" und erzählt sehr persönlich die Themen Bildung, Arbeitsmarkt, aber auch das Thema Sexualität und Liebe. Ihre Tochter Emma-Lou werden diese Themen irgendwann ebenfalls beschäftigen, was haben Sie von Ihren Protagonisten gelernt?
Das Leben von Menschen mit Behinderung ist stark tabuisiert und ich wollte nicht über sie, sondern tatsächlich mit ihnen darüber sprechen, was ihr Leben ausmacht, welche Wünsche und Bedürfnisse sie haben. Was mich am meisten inspiriert hat, war, dass sich die Protagonisten alle als schön empfunden haben, und zwar nicht kokett oder verhalten, sondern sehr selbstbewusst. Und dieses Selbstbewusstsein kann sich nur entwickeln, wenn sie ein Leben erfahren, dass Freiheiten ermöglicht, eben auch die Vorstellung, eine Arbeit haben zu können. Und dass ihnen die Gesellschaft auch zutraut, Beziehungen zu führen. Was ich gesehen habe, war, dass sie sehr liebevoll miteinander umgehen. Dieser Blickwinkel hat mir gutgetan, aber es ist auch einer, der uns als Gesellschaft reicher macht.

Mehr Infos über die Arbeit und die Projekte von Evelyne Faye sowie die Möglichkeit, an ihren Initiativen teilzunehmen, finden Sie hier.