Barbara ist 19 Jahre, als sich alles ändert. Im Auto unterwegs mit ihrer Freundin, schneidet ein Lkw ihr Fahrzeug, es gibt einen Unfall. Die Freundin stirbt sofort, Barbara überlebt. Doch sie wird ihr Leben lang einen Rollstuhl brauchen. Oder „nützen“, wie sie selbst gerne sagt. Heute ist die Grazerin Barbara Sima-Ruml 42 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Um ihr Leben als Familie, als Mutter und als Frau mit einer sichtbaren Behinderung, geht es in diesem Text. Und eine Pointe gibt es jetzt bereits. „Ich habe quasi eine permanente PDA, und das bedeutet, ich hatte zwei sehr entspannte, leichte Geburten. Beide spontan, kein Kaiserschnitt.“ Soll heißen: Was viele Frauen für die Geburt flehentlich verlangen, nämlich eine schmerzstillende Spritze namens Periduralanästhesie, hat Sima-Ruml ständig. Doch natürlich ist eine Querschnittlähmung nicht ein Jackpot voller Vorteile, aber wenn es schon einen gibt, sollte man ihn nicht verschweigen. Wenn Barbara Sima-Ruml mit einem leichten Lächeln genau davon erzählt, staunt das Gegenüber, denn die ersten Fragen, die im Zusammenhang von „schwanger“ und „Rollstuhl“ auftauchen, sind: Kann eine Frau im Rollstuhl schwanger werden, wie geht das in der ganzen Schwangerschaft und wie bewältigt man das Leben mit einem kleinen Baby?
Warum wir das Wort „behindert“ aus dem Wortschatz streichen müssen
Speibsackerl in der Schwangerschaft
Diese Fragen sind teils Vorurteile und teils berechtigt, denn es ist vor allem eines: anders. „Vier Monate nach meinem Unfall hat mein Frauenarzt gesagt, dass ich jedenfalls schwanger werden könne. Das hat mich beruhigt, aber zu dieser Zeit wollte ich sowieso keine Kinder. Der Wunsch kam erst, als ich meinen Mann Mario kennengelernt hatte“, erinnert sich die Architektin, die beim Land Steiermark Sachverständige für barrierefreies Bauen ist. Doch mit dem Kinderwunsch kam auch die Sorge, die Angst, ob das schaffbar wäre und zu Beginn der Schwangerschaften kamen ganz praktische Probleme. „Ich hatte eine starke Übelkeit, aber ich kann ja nicht einfach so aufs Klo laufen, das ist sich oft nicht ausgegangen, also hab ich begonnen, ein Speibsackerl mitzunehmen. Und ich erinnere mich noch daran, dass ich mit meiner Tochter am Schoß und schwanger zugleich, mitten am Kaiser Josef Markt, kotzen musste. Das war fürchterlich, aber es war gut, dass ich das Sackerl hatte.“ Ihre beiden Kinder, Cäcilia (9) und Constantin (6) sind mit drei Jahren Unterschied am exakt gleichen Tag geboren und wie bei anderen Familien galt auch hier: beim Zweiten ist es leichter, weil Erfahrungen da sind. Für Barbara Sima-Ruml war es vor allem jene, dass ihre anfängliche Angst, sie könne ein Baby nicht alleine versorgen, weniger wurde. „Ich hab voll gestillt, weil ich in der Nacht nicht einfach ein Flascherl machen kann, ich hab natürlich keinen Kinderwagen, sondern ein Tragetuch genommen und damit viel Vertrauen in mich bekommen und zugleich besser gespürt, was das Baby möchte.“
Helikoptermama? Das geht sich nicht aus!
Und dann gibt es noch ihren Ehemann Mario (41), der „wirklich immer ein zuverlässiger Partner ist“ und es gibt in der Steiermark auch die persönliche Assistenz. Das bedeutet, man hat ein persönliches Budget, das für Assistenzdienste verwendet werden kann. Früher war es eben Baby-Unterstützung, heute Hilfe im Haushalt. Und bei Baby Constantin hat auch Cäcilia früh mitgeholfen. „Sie konnte schon mit vier Jahren Kleinigkeiten einkaufen, und sie erkannte bald, dass sie hier Verantwortung nehmen kann, was ihr gefallen hat“, erinnert sich Sima-Ruml. Heute gehen beide zur Schule und zwar in dieselbe Klasse, denn es ist eine jahrgangsübergreifende Schule. Wie erleben denn die Kinder ihr Mama? Eine Mama, die im Rollstuhl sitzt? „Also ich könnte beim besten Willen keine Helikoptermama sein und das ermöglicht den Kindern Autonomie. Und in der Sache selbst ist es sicher so, dass ihr Blick auf Menschen anders ist. Sie sehen Defizite oder auch Anders Sein nicht so sehr. Auch, wenn es um kulturelle Unterschiede geht, das irritiert sie nicht.“ Doch in einem sind auch Barbaras und Marios Kinder nicht anders, als andere. Man muss sie antreiben, Zähne putzen, Schuhe binden und so weiter. Gerade in der dichten Zeit am Morgen vor der Schule. Sima-Ruml arbeitet eben auch als Sachverständige und auf der TU, und das bedeutet, sie hat Termine einzuhalten, Arbeit zu finalisieren und muss mit der Doppelbelastung einer „working mum“ umgehen. Ihre Behinderung kommt noch dazu. „Es ist unfassbar anstrengend, vor allem, wenn Kinder krank sind oder wenn ich krank bin, da komme ich an meine Grenzen, das muss ich schon sagen.“ Die perfekte Mutter sei sie nicht, meint Sima-Ruml, und auch nicht perfekt gut zu sich selbst. Die Familie und die ganze Arbeit drumherum binden fast alle Ressourcen. „Das einzige, das ich mir rausnehme, ist, dass ich ein Mal in der Woche Radfahren gehe.“
Kein mitleidiger Blick und kein „voll behindert“
Die engagierte „Vierrad-Diva“, wie sie sich auch in ihrem Podcast nennt, hat viel Gutes zu berichten über die gesetzlichen Rahmenbedingungen, gerade in der Steiermark sei „das Assistenzsystem hervorragend“, doch gesellschaftlich wünscht sie sich ein besseres Image für Menschen mit Behinderung. „Nicht mir sollte der mitleidige Blick gelten, sondern dem Eingang, der nicht barrierefrei ist.“ Und sie hat auch einen Apell für Menschen ohne Behinderung: „Eine Behinderung, egal ob durch Unfall oder einfach später im Alter, das kann jeden treffen, deshalb könnten alle Interesse an mehr Inklusion haben. Aktuell sind 1,3 Millionen Menschen in Österreich in der einen oder anderen Form von Behinderung betroffen, es geht also um viele Menschen.“ Ach, und noch etwas wünscht sie sich: bessere Schimpfwörter, denn „voll behindert“ sollte schön langsam raus aus unserem Sprachschatz.