Insgesamt 234 Forscher aus aller Welt haben über viele Monate hinweg an dem Papier gearbeitet, das in Genf im August 2021 offiziell vorgelegt wurde:Der erste von drei Teilen des 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC zeichnet den weltweiten Wissensstand zum Zustand des Klimasystems der Erde nach und das Konvolut liefert keinen Anlass zur Entwarnung - im Gegenteil.
Nach dem Stand der Forschung steuert die Welt auf ein Überschreiten des Ziels von maximal 1,5 Grad Erwärmung (im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrunderts) bereits in den 2030er-Jahren zu. Bislang hat sich die Welt um etwa 1,1 Grad Celsius aufgeheizt und steuert nach derzeitigem Kurs bis zum Ende des Jahrhunderts auf eine mittlere Erwärmung von mehr als drei Grad zu. Verhindert werden kann die Verfehlung des 1,5-Grad-Ziels nur noch, wenn die Treibhausgas-Emissionen ab sofort deutlich absinken. Geschieht das bis zur Mitte des laufenden Jahrzehnts nicht, dürfte auch die Marke von maximal 2 Grad Erhitzung nicht mehr zu halten sein.
CO2 muss aus der Atmosphäre geholt werden
Im Detail müssten die weltweiten Emissionen zur Jahrhundertmitte auf Null kommen und danach ins Minus sinken, um die 1,5-Grad-Schwelle am Ende nicht doch noch zu überschreiten. Sprich: Der Atmosphäre müsste in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Treibhausgas entzogen werden. Dasselbe wäre ab etwa 2075 auch zur Wahrung des 2-Grad-Ziels unerlässlich.
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Der Grund dafür liegt in der Trägheit des Klimasystems. Laut dem IPPC-Bericht dürfte es selbst im Falle rasant fallender Emissionen 20 bis 30 Jahre dauern, bis sich die Klimabedingungen wieder vollständig stabilisieren. Und selbst diese Aussichten beziehen sich nur auf die Temperatur, nicht auf die Folgen der Erwärmung. So schätzen es die Forscher als bereits unvermeidlich ein, dass die Arktis bis zur Jahrhundertmitte zeitweise eisfrei sein wird. Auch die Eisschilde Grönlands und der Antarktis sowie die Berggletscher werden "über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg" weiter schmelzen. Als Folge wird auch der Meeresspiegel zumindest über das gesamte 21. Jahrhundert hinweg weiter ansteigen.
Künftige Emissionen sind entscheidend
Wie dramatisch diese unvermeidlichen Veränderungen allerdings ausfallen werden, hängt von den künftigen Emissionen ab. Wird die 2015 in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Schwelle nicht überschritten, erwarten die Forscher (mehr oder weniger) moderate Auswirkungen. Der Meeresspiegel dürfte dann bis zum Jahr 2100 um weitere 28 bis 55 Zentimeter ansteigen, Dürren und Überschwemmungen fallen weniger massiv aus. Bei einer mittleren Erwärmung von 2 Grad ist mit einem zusätzlichen Anstieg der Meere um 32 bis 62 Zentimeter zu rechnen. Große Teile Afrikas, Südamerikas und Europas wären von lang anhaltenden Dürrephasen bedroht, die sich in vielen Gebieten mit Hochwasser und Überflutungen abwechseln. In vielen Küstengebieten würden besonders schwere Überflutungen, die bisher im Schnitt nur alle 100 Jahre vorgekommen sind, zu jährlichen Ereignissen.
Heizt sich die Atmosphäre dagegen um 3 bis 4 Grad auf, könnten die Oberflächen der Ozeane bis Ende des Jahrhunderts um bis zu einen Meter höher liegen als heute. Dürren und Überschwemmungen wären von desaströsem Ausmaß. All diese Entwicklungen wären zudem irreversibel, also nicht mehr rückgängig zu machen. Die Eisschilde des Planeten würden rasant weiter schmelzen. Die Rechenmodelle der Wissenschaftler ergeben für diesen Fall, dass die Weltmeere innerhalb der nächsten 2000 Jahre um rund 20 Meter steigen und große Teile der Kontinente verschlingen würden. Was oberhalb des Wassers bliebe, wäre in einem hohen Maß wegen sich ausbreitender Wüsten und Versteppungen nicht mehr bewohnbar.
Der Mensch als Verursacher
Die Ursache dieser Entwicklungen ist inzwischen eindeutig geklärt. "Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist unbestreitbar", sagt Valerie Masson-Delmotte, Co-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe I, die den Bericht erstellt hat. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre sind laut dem Weltklimabericht inzwischen höher als zumindest in den vergangenen 2 Millionen Jahren. Der seit 1750 beobachtete Anstieg der atmosphärischen CO2- und Methan-Konzentration verlief "bei Weitem rascher" als in irgendeiner anderen Zeitspanne der vergangenen 800.000 Jahre, die durch die Analyse von Eisbohrkernen rekonstruiert werden kann. Die globale Temperatur ist seit 1970 schneller angestiegen als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen 2000 Jahren. Und: Die Durchschnittstemperaturen der jüngsten Dekade (2011 bis 2020) waren zumindest in den vergangenen 125.000 Jahren niemals so hoch.
Zwischen der steigenden CO2-Konzentration und den steigenden Temperaturen besteht laut Bericht "ein beinahe lineares Verhältnis". Pro 1000 Gigatonnen Treibhausgaseintrag in die Atmosphäre dürften die Werte im globalen Schnitt um etwa 0,45 Grad Celsius steigen. Die einzige Lösung liegt für die Forscher auf der Hand: "Das Klima zu stabilisieren wird starke, rasche und nachhaltige Reduktionen beim Treibhausgas-Ausstoß erfordern", sagt Co-Vorsitzender Panmao Zhai.
Noch ist ein Umsteuern möglich
Für den IPCC-Vorsitzenden Hoesung Lee bildet der neue Weltklimabericht die Fortschritte der Klimawissenschaft der letzten Jahre ab und bietet deshalb einen "unschätzbar wertvollen Beitrag zu den künftigen Klimaverhandlungen und Entscheidungsprozessen". Der Report zeige auf, dass rasches Handeln immer noch das Potenzial habe, den künftigen Kurs des Klimas festzulegen. Gelegenheit dazu soll es im November geben, wenn in Glasgow der 26. Weltklimagipfel startet. "Die künftige Klimaentwicklung hängt von unseren heutigen Entscheidungen ab", sagt Forscherin Valerie Masson-Delmotte. Ihr Kollege Panmao Zhai appelliert: "Vertrauen Sie den Ergebnissen des Reports! Sie sind das Resultat der weltweiten Forschung zum Thema."
Reaktionen zum Klimabericht
Missernten und Trinkwassermangel?
Der zweite Teil des Weltklimaberichts, der sich den Folgen der erwarteten Erwärmung für Mensch und Natur widmet, wird am 28. Februar 2022 vorgelegt. Teile des rund 4000 Seiten umfassenden Entwurfs wurden im Juni öffentlich. Die Wissenschaftler erwarten demnach, dass eine globale Erwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius im Vergleich zu vorindustriellem Niveau auch "irreversible Auswirkungen auf die Menschen und die ökologische Systeme" hätte. Genannt werden Ernterückgänge, Trinkwassermangel und drohende Massenfluchtbewegungen wegen Dürren. Zudem entwickelt sich der Mittelmeerraum immer mehr zu einem Hotspot der Erwärmung mit weitreichenden Folgen wie noch intensiveren Waldbränden.