Es ist fast wie das Amen im Gebet. Kurz vor dem Frauentag rufen alle nach Gleichstellung. Zum Einstieg ganz prinzipiell: Ist Gleichstellung überhaupt möglich?
ELISABETH HOLZLEITHNER: Gleichstellung ist ein Ziel, an dem sich rechtliche und politische Bemühungen orientieren sollen. Menschen sollen nicht wegen ihres Geschlechts Benachteiligungen erleiden. Man muss den Hebel an verschiedenen Stellen ansetzen. Früher gab es erhebliche rechtliche Benachteiligungen von Frauen – im Familienrecht etwa. Diese Ungleichbehandlungen sind im Laufe der Zeit zunehmend abgebaut worden. Je näher die formale Gleichbehandlung rückt, desto mehr muss man den Blick auf die realen Verhältnisse richten. Statistiken belegen, dass Frauen noch immer schlechter gestellt sind.
Warum ist Gleichstellung für eine Gesellschaft wichtig?
Was ist die Grundidee einer Gesellschaft? Eine zentrale Idee ist Freiheit: Menschen sollen sich möglichst frei entfalten und ihren Wünschen entsprechend ein gutes Leben führen können. Und Freiheit muss immer als gleiche Freiheit verstanden werden.
Wo ist die Gleichstellung rechtlich verankert?
Das Prinzip der Geschlechtergleichstellung ist im allerhöchsten EU-Recht, in der Grundrechte-Charta, enthalten. In EU-Recht ist auch Gender-Mainstreaming als Aufforderung zur Geschlechtergleichstellung bei jedem politischen Thema verankert. Die österreichische Bundesverfassung normiert die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, verbietet Benachteiligung aufgrund des Geschlechts und bekennt sich zur tatsächlichen Gleichstellung. Es gelten Gleichbehandlungsgesetze für die Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst, die auch Förderungsmaßnahmen ermöglichen.
Angesichts von Frauenmorden und Gender Pay Gap: Reichen die Gesetze, bräuchte es neue?
Gibt es ein soziales Problem, ruft man gerne schnell nach dem Gesetzgeber. Das ist oft berechtigt, man kann immer noch etwas verbessern und soll sich neuen Herausforderungen stellen. Aber man sollte sich vor einem gesetzgeberischen Aktionismus hüten. Das beste Gesetz nützt nichts, wenn es ignoriert oder umgangen wird und wenn Geld für entsprechende Maßnahmen fehlt. Wir können ein schönes Gewaltschutzgesetz haben, genauso wichtig sind Sensibilisierung der Polizei, Fallkonferenzen zur Analyse von Hochrisikofällen und finanzielle Ausstattung.
Das heißt: Unsere Gesetze wären gut genug.
Die Gesetze können immer noch besser sein, aber an der Umsetzung hapert es auf jeden Fall. Wenn Sie an das Gleichbehandlungsgesetz denken: Es wäre schön, wenn es dazu führt, dass alle Menschen völlig beseelt davon wären, andere respektvoll zu behandeln und nicht zu diskriminieren. Das ist aber nicht so. Heute wird niemand mehr offen zu einer jungen Frau sagen: „Wir stellen Sie nicht an, weil Sie schwanger werden und ausfallen könnten.“ Das ist unmittelbare Diskriminierung, die ist verboten. Dann werden andere Argumente gebraucht, hinter denen die Diskriminierung versteckt ist.
Länder wie Schweden oder Island reihen sich in Gleichstellungsindexen stets vorne ein. Was verliert Österreich, wenn es sich zu wenig darum kümmert?
Diese Frage kann man aus mehreren Perspektiven betrachten. Da wäre einmal die Perspektive der Prinzipien: Wir haben eine Rechtsordnung, die gleiche Freiheit ermöglichen will – das ist gewissermaßen ein Versprechen, das unser Recht einlösen soll. Die andere Perspektive besagt, dass Benachteiligung von Frauen dazu führt, dass sie mit ihren Fähigkeiten dem Wirtschaftsleben verloren gehen. Darunter leidet die Qualität der Wirtschaft.
Gleichstellung ist also auch eine ökonomische Frage?
Man darf Gleichstellung nicht auf diese ökonomische Dimension reduzieren, das hielte ich für verfehlt. Was mir wichtig ist: Das Bild, das gern vom Arbeitsleben gezeichnet wird – alle sollen vom Eintritt bis zur Pensionierung ohne Unterbrechungen als Vollzeitarbeitskräfte funktionieren – entspricht nicht unseren Lebensverläufen. Es braucht Bewusstsein, dass es in Ordnung und wertvoll ist, wenn man sich um Kinder, alte oder kranke Menschen kümmert – für Frauen wie für Männer.
„Mehr Macht für Frauen bedeutet auch weniger Macht für Männer“, hat Johanna Dohnal gesagt. Wo verlieren Frauen?
Karrieretechnisch sind längere Pausen nicht günstig für den beruflichen Aufstieg. Es ist nicht verwunderlich, dass in jenen Positionen, die sehr gut bezahlt und mit Macht verbunden sind, wesentlich weniger Frauen zu Gange sind als Männer. Verantwortung zu tragen, geht in der Vorstellung nur mit einer Vollzeitbeschäftigung einher – in unseren Köpfen sollte sich festsetzen, dass man Führungspositionen auch in Teilzeit ausüben kann. Bei Frauen wird akzeptiert, dass sie in Karenz gehen. Ein Mann, der sagt, er möchte in Karenz gehen, wird immer noch schief angeschaut – hier gibt es tatsächlich oft Nachteile. Das ändert sich zunehmend, aber es gehen immer noch viel zu wenig Väter in Karenz.
Wo müsste man ansetzen?
Gute Frage. Die rechtlichen Möglichkeiten sind da, sie landen nur nicht richtig in der Realität. Hier wirken traditionelle Vorstellungen von den Zuständigkeiten, die Männer und Frauen angeblich haben, aber auch die sozialen Verhältnisse spielen eine wichtige Rolle. Wenn der Vater um einiges mehr verdient als die Mutter, macht es ökonomisch Sinn, wenn sie länger in Karenz geht und er nicht. Man muss auch beim Finanziellen ansetzen. Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld ist ein wichtiger Schritt.
Die Europäische Kommission hat eine Gleichstellungsstrategie präsentiert: Ihre Bilanz?
Kommt die Lohntransparenz tatsächlich, dann wäre das eine wichtige Vorgabe. Der Mangel daran ist ja einer der Gründe, warum es bei uns mit der Entgeltgleichheit so langsam vorangeht.