Das Institut für Wirtschafts- und Standortentwicklung an der Wirtschaftskammer Steiermark arbeitet an der Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der steirischen Wirtschaft und für eine innovationsorientierte Wachstumspolitik als Wohlstandsgarant. Dass der zunehmende Mangel an Arbeitskräften bzw. an Fachkräften dabei ein unangenehmer Gegenspieler ist, liegt auf der Hand. Aber wie ernst ist die Lage wirklich?
Herr Verhounig, kann man den Fachkräftemangel in der steirischen Wirtschaft schon als dramatisch bezeichnen?
Ewald Verhounig: Er hat eine neue Dimension erreicht. Die enorme Zahl an offenen Stellen – rund 35.000 in der Steiermark –ist eindeutiger Beleg dafür, dass die Lage wirklich ernst ist. Laut WKO-Wirtschaftsbarometer verspüren über 70 Prozent der Unternehmen einen starken Mangel an Fach- bzw. Arbeitskräften.
Wo fehlen in der Steiermark die meisten Fachkräfte?
Es fehlen nicht nur Fachkräfte, sondern sehr oft schlichtweg Arbeitskräfte, erstere vor allem aber in der gewerblichen Wirtschaft: von der Industrie über den Handwerksbereich, wissensintensive Dienstleistungen bis hin zum Tourismus. Und: Der Mangel zieht sich durch eine Vielzahl an Berufen, Kompetenzen und heute auch durch alle steirischen Bezirke. Ähnliches gilt für den Berufsnachwuchs: Trotz steigender Lehrlingszahlen sind derzeit über 1250 Lehrstellen vakant.
Welche Auswirkungen hat diese Situation auf die steirischen Unternehmen?
63 Prozent der Unternehmen verzeichnen bereits Umsatzeinbußen, weil Aufträge nicht angenommen oder fristgerecht bearbeitet werden können. Bei jedem zweiten Unternehmen führt der Fach- und Arbeitskräftemangel zur Einschränkung von Innovationen. Daran sieht man, dass der Fachkräftemangel sich realwirtschaftlich bereits negativ niederschlägt.
Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für diese Entwicklung?
Haupttreiber ist derzeit sicher die demografische Entwicklung. Wenn die Babyboomer-Generation nunmehr auch noch verstärkt in den Ruhestand geht, wird sich die Situation weiter verschärfen. Auch der technologische und gesellschaftliche Strukturwandel führt zu einem immer stärkeren Ungleichgewicht zwischen angebotenen und nachgefragten Qualifikationen. Die Ansprüche in vielen Berufen steigen sukzessive, wodurch ein erheblicher Mehrbedarf an Weiter- und Höherqualifizierung besteht. Gleichzeitig haben wir viele, vor allem junge, Menschen, denen formale Berufsabschlüsse fehlen oder die völlig arbeitsmarktfern sind. Das zeigt, dass unter anderem im Bereich der Berufsorientierung viele Versäumnisse passiert sind. Außerdem kommt nun auch noch die fehlende Offenheit in Richtung internationaler Arbeitsmärkte negativ zu tragen, die Österreich beispielsweise in Bezug auf die EU-Osterweiterung an den Tag gelegt hat.
Mit welchen Maßnahmen könnten wir kurzfristig gegensteuern?
Die Novelle der Rot-Weiß-Rot-Card kann kurzfristig etwas Linderung bringen, aber sonst sehe ich nur langfristige Steuerungsmöglichkeiten.
Und welche wären das aus Ihrer Sicht?
Wir müssen Talente frühzeitig erkennen und fördern, das duale Lehrsystem noch attraktiver machen und mehr junge Menschen für technisch-naturwissenschaftliche Ausbildungen mit Blickrichtung Fachschulen, FH und Unis begeistern.
Die Freude an Arbeit und Beruf muss aus meiner Sicht schon ganz früh, im Kindergarten, geweckt werden. Auch die gezielte Berufsorientierung in der Schule muss mehr als eine lästige Pflicht sein. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Serviceeinrichtungen wie das Talentcenter der WKO intensiv genutzt, Berufsbilder laufend erneuert und der Jugend die Vorzüge einer Berufsausbildung, die auch weitere Ausbildungsmöglichkeiten zulässt, vor Augen geführt werden.
Zudem muss die Steiermark für internationale Fachkräfte attraktiver werden. Und ich sehe auch einen neu in Richtung international positionierten ,Lebensstandort Steiermark’ – beispielsweise durch den Ausbau internationaler Schulen bzw. fremdsprachige Klassen.