Das Wort „Fachkräftemangel“ ist in aller Munde. Was sind die Problemfelder der Personalsituation?
KARL-HEINZ SNOBE: Der strukturelle Fachkräfteengpass besteht weiterhin wie vor der Krise und hat sich coronabedingt in bestimmten Bereichen sogar noch verschärft: Unternehmensinterne Weiterbildungen fanden ein Jahr lang kaum statt, PendlerInnen aus dem Ausland bleiben aus, gekündigte Gastro-Arbeitskräfte sind teilweise in andere Branchen abgewandert. In der jetzt überhitzten Personalsuche, bei der alle Bereiche gleichzeitig hochfahren und es Nachholeffekte in der Wirtschaft gibt, ist der Alarmismus mit voller Wucht zurück.
Wo brennt es am meisten?
Aus individueller Sicht des einzelnen Betriebes überall dort, wo eine wichtige offene Stelle nicht zeitnah besetzt werden kann. Auf Basis unserer Engpassanalyse herrscht systematisch Feuer am Dach jedenfalls bei akademischen Technikberufen, bei allen IngenieurInnen-Berufen, im qualifizierten Pflegebereich und bei den Lehrberufen InstallateurInnen, MaurerInnen, FliesenlegerInnen, DachdeckerInnen, TischlerInnen, bei praktisch allen MetallfacharbeiterInnen und ElektroinstallateurInnen sowie bei KöchInnen.Was können wir gegen diesen Fachkräftemangel tun?
Die alten Rezepte sind bekannt: in Aus- und Weiterbildung investieren, Ältere länger in Beschäftigung halten, Frauen als Potenzial erkennen, Lehrausbildung ehrlich attraktivieren. Neuere Rezepte nutzen: eine AMS-geförderte Erwachsenenlehre und das Angebot „Arbeitsplatznahe Qualifizierung“ ausprobieren, mit Arbeitgeberverbünden ein modernes Employer Branding betreiben, wie es manche Konzerne vorzeigen, über das AMS suchen und langfristig planen, gesellschaftliche Entwicklungen wie Teilzeitwünsche, Sabbaticals, Homeoffice akzeptieren und betrieblich nutzen.
Hat sich die BewerberInnen-Situation mit Corona verändert?
Auf den gesamten Arbeitsmarkt bezogen, glaube ich das nicht. Ich denke auch nicht, dass die Arbeitsmoral schlechter wurde. Natürlich hat die drastische Lebensveränderung in der Pandemie Spuren hinterlassen, die aber mit fortlaufender Normalität schnell wieder verblassen werden. Allerdings wird sich der Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren deutlich verändern: Die Babyboomer gehen in fünf bis zehn Jahren in sehr großer Zahl in Pension und das Arbeitskräftepotenzial verringert sich in vielen Regionen erheblich. Denken wir die Digitalisierung und Technologisierung der Berufswelt dazu, werden Betriebe wachsende Schwierigkeiten haben, Personal zu finden.
Liegt es daran, dass in einigen Branchen zu wenig Lohn bezahlt wird?
Am Gehalt alleine liegt es nie. Ist der Job aber körperlich fordernd, sind die Arbeitszeiten unattraktiv, ist er schwer erreichbar, mit einem schlechten Image versehen und ist man Hitze, Kälte oder Nässe ausgesetzt, gibt es nur mit einer attraktiven Bezahlung die Chance, dass jemand den Job länger macht. Ein Senken des Arbeitslosengeldes ändert an dieser Rechnung natürlich nichts.
Welche Qualifikationen sollten ArbeitnehmerInnen heutzutage mitbringen?
Zu empfehlen sind gute Allgemeinbildung und fundierte Basis-
ausbildung. Dazu wichtige zusätzliche Fähigkeiten: kaufmännisches Basiswissen, Englisch, sehr gute digitale Skills. Immer gefragt sind echtes Interesse über den Arbeitsbereich hinaus, Teamfähigkeit, Projektmanagement.
Ist Ihrer Meinung nach die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland ein wichtiges Thema oder kann mit dem Inlandspotenzial dem Fachkräftemangel begegnet werden?
Die steirische Wirtschaft muss für internationale Fachkräfte attraktiv sein, weil das Fach- und Spitzenpersonal mit internationaler Erfahrung nicht ausreichend aus dem Inland zu gewinnen ist. Überdies sind Bemühungen auszubauen, heimische Fachleute, die im Ausland arbeiten, zurückzugewinnen.
Wie sieht es mit der Aktivierung des Arbeitspotenzials der älteren Generation aus? Kann damit der Fachkräftemangel aufgehoben werden?
Nein, das wird nicht reichen. Aber gelingt es nicht, erfahrene Arbeitskräfte in großer Zahl lange im Berufsleben zu halten, trifft die demografische Keule den heimischen Arbeitsmarkt bestimmt noch härter. Das Thema „altersgerechtes Arbeiten“ kann kein Minderheitenprogramm bleiben, weil ohne Erhöhung der Erwerbsquote bei den Älteren in einzelnen Bereichen und Regionen Firmenabwanderungen mangels Arbeitskräften drohen.