Ihre Liebe zum Skisport - wie sehr hilft das in Zeiten wie diesen?
Kostelic: "Das ist immer eine große Motivation für mich. Leidenschaft zum Skifahren kann nur gut sein. Es ist nicht leicht, wenn man schlecht fährt. Aber das schadet der Liebe zum Skisport nicht. Das größte Problem für mich sind die Schmerzen, die töten den Spaß. Du kannst keinen Spaß haben, wenn etwas schmerzt. Deswegen sind die gesundheitlichen Probleme ein größeres Thema für mich als schlechte Resultate."

Sie hatten bisher 14 Eingriffe am Knie. Vergangenen März bekamen Sie nach einer Injektion eine Entzündung, nur knapp wurde Schlimmeres verhindert. Woher nahmen Sie die Motivation für die 18. Weltcupsaison?
Kostelic: "Leider war diese Infektion ein Unglück, ein Riesenpech, das passiert sehr selten. Und ein Schritt rückwärts. Ich dachte, es wird schwer, wieder zurückzukommen. Aber ich wollte nicht so meine Skikarriere beenden und habe gesagt, ich probiere es nochmals. Schmerzen sind beim Skifahren immer da. Aber in meinem zivilen Leben habe ich keine Probleme."

In Ihrer Sammlung fehlt nur Olympia-Gold. Bedauern Sie das?
Kostelic: "Ich wurde Gesamtweltcupsieger. Das ist der größte Preis für einen Alpinsportler. Ich wurde oft auf meine vier Silbermedaillen bei Olympia angesprochen. Ich war immer sehr zufrieden mit Silber. Ich habe gesagt: Schau, wir Männer wollen alle einen Sohn haben. Aber was ist, wenn wir vier Töchter haben? Sind wir zufrieden oder nicht? Natürlich! Ein glücklicher Mensch mit vier Kindern! Das ist ein großer Segen. Ich war oft im Spital und habe viele schlimme Dinge gesehen. Leute, die keine Chance haben und morgen sterben. Was soll ich mich da über Silber bei Olympia ärgern?"

Wir sind hier in Wengen. Da standen Sie vor einem Jahr als Dritter der Kombination das letzte Mal auf dem Stockerl.
Kostelic: "Wengen ist ein spezieller Ort für mich. An jeden Ort hat man spezielle Erinnerungen. Für mich ist das so emotional und schön, wiederherzukommen. In diesem Hotel bin ich seit 16 Jahren, wir haben immer das gleiche Rennprogramm. Es hat sich nicht viel geändert, es ist wie eine Zeitmaschine (lacht)."

Noch einmal auf das Podest zu kommen, ist das Ihr Ziel?
Kostelic: "Sicher. Das ist Sport, jeder will der Beste sein. Ich glaube, mit ein bisschen Glück habe ich in der Kombi noch eine Chance. Im Slalom wird das leider nicht mehr gehen, die langjährigen Schmerzen haben ihre Auswirkungen. Das Knie ist nicht mehr so stabil, ich kann nicht mehr so viel Druck geben. Mit all dem bin ich nicht auf hundert Prozent. Und man muss mehr als hundert Prozent geben, um im Slalom oder anderen Disziplinen in die Spitze zu fahren."

Ihre Karriere neigt sich dem Ende zu. Sie, Ihre Schwester Janica und ihr Vater Ante haben viel für den Alpinsport in Kroatien getan. Was wollen Sie hinterlassen?
Kostelic: "Wir hatten einen schwierigen Weg. Durch unsere Erfolge müssen die anderen nicht diesen schweren Weg gehen. Wenn ich sehe, dass jemand aus meinen Siegen und Erfolgen einen Nutzen gezogen hat, ist das der größte Erfolg."

Haben Sie sich festgelegt, wie lange Sie noch fahren wollen?
Kostelic: "Ich habe mir für die Saison einige Ziele gesetzt, aber ich glaube, es wird schwer, die zu erreichen. Ich wollte im Slalom in die Top-20 zurückkommen und in der Kombi ein hohes Niveau behalten. Ich fahre sicher bis Saisonende, dann muss ich entscheiden. Es ist möglich, dass ich jetzt die letzte Saison fahre."

Ivica Kostelic
Ivica Kostelic © APA/EPA/PETER SCHNEIDER

Sie haben sich oft kritisch zu den Veränderungen im alpinen Rennsport geäußert. Was ist anders als zu den Zeiten, als Sie begonnen haben?
Kostelic: "Es gibt viel weniger Läufer, das ist das Resultat vieler falscher Entscheidungen. Ich war jetzt bei ein paar FIS-Rennen am Start, da sind 70 bis 100 Starter, 1994 waren es nicht weniger als 140. In Österreich ist Skisport noch immer Nummer eins, das System ist noch immer groß und produziert noch immer viele junge Läufer. Aber schon in etwas kleineren Systemen gibt es einen Verlust. Für den gesamten Skiweltcup ist das ein Problem. Der Weltcup ist alt geworden."

Was sind Lösungsansätze?
Kostelic: "Die FIS versucht sicher, etwas zu ändern. Aber leider ist das viel öfters schlecht als gut. Die wirklichen Probleme sind viel tiefer als die Frage nach Ein-Pole-Slalom oder Flaggen oder so weiter. Eines der sicher größten Probleme ist die 30er-Gruppe. Für die jungen Läufer ist es da schwer durchzubrechen, sie verlieren das Interesse. In anderen Sportarten bekommt man schneller Resultate. Eine gute Sache ist, dass es mehr Preisgeld für die Top-30 gibt. Aber es gibt noch viele andere Dinge, um die zu lösen, muss man mutig sein."

Hat die FIS den Mut?
Kostelic: "Das System der FIS ist am Papier gut, es ist eine Demokratie, es gibt Komitees. Aber die Resultate des Systems sind manchmal schlecht. Wenn man etwas ändern will, muss man eine Strategie haben. Bei so vielen Interessen, die in den Komitees, aufeinandertreffen, werden die meisten Entscheidungen ein Kompromiss sein. Und das ist nicht gut genug. In der Formel 1, wo vielleicht nur ein Mensch entscheidet, ist dieser auch sehr interessiert am Reglement. Denn dieses Reglement bringt ihm Geld. Es ist seine Verantwortung. Entscheiden kann man nur, wenn man auch die Verantwortung für die Entscheidung übernimmt."

Jeder kennt Ihr Plädoyer für die klassische Hahnenkamm-Kombi.
Kostelic: "Ich kämpfe nicht mehr, aber ich sage immer meine Meinung. Es ist natürlich auch ein Energieverlust. Aber wenn man nicht spricht, bewegt sich auf der ganzen Welt nichts. Ich habe nie für mein persönliches Interesse gesprochen. Als ich für die Hahnenkamm-Kombination gesprochen habe, haben viele gesagt: 'Du sagt das, weil du hier jedes Jahr siegst.' Aber ich bin bald weg und die Kombination bleibt. Hier wird eine Tradition zerstört. Für etwas, das weniger wert ist. Was sportlich weniger wert ist, dafür interessieren sich weniger."

Wie holt man sich das Interesse der Leute zurück?
Kostelic: "Im Sport mit citius, altius, fortius (schneller, höher stärker/Anm.). Wenn es weniger als das ist, gibt es weniger Interesse. Jeder, der heute Rennfahrer ist oder morgen einmal wird, war einmal Zuschauer. Die Leute sind nicht an Durchschnittlichkeit interessiert, sondern an Exzellenz. Die Demokratie im Skifahren führt zu Durchschnittlichkeit. Oft wird beim Skifahren vom Produkt geredet, 'wir müssen das Produkt verkaufen', heißt es. Aber wie verkaufst du ein durchschnittliches Produkt? Skifahren hat ein sehr hohes Niveau, der Weltcup ist ein superstarker Bewerb. Aber das Produkt ist durchschnittlich. Es wird nicht sterben, aber es ist nicht, was es früher war."

Das Wetter in diesem Winter macht es aber auch nicht besser. Ein Klassiker wie der Adelboden-Riesentorlauf fiel aus, in Wengen kann der Slalom nicht auf dem traditionellen Hang gefahren werden.
Kostelic: "Gegen die Natur ist es schwer zu kämpfen. Der Wechsel des Slaloms in Wengen auf die Abfahrt ist nichts, was wir uns wünschen, aber manchmal muss man das machen. Diese Flexibilität sollte man viel öfter sehen. Die Kitzbühel-Abfahrt letztes Jahr zum Beispiel war eine Blamage mit 50 Sekunden (Siegerzeit 58,16/Anm.). Am Tag vorher hätte man sagen sollen, wir machen zwei Läufe. Und alles ist gut. Gegen das Wetter kann man nichts machen, aber wir müssen flexibel sein. Wegen der Fernseh-Übertragungszeiten ist das schwierig, aber das sind alles Dinge, die das Skifahren limitieren."

INTERVIEW: BIRGIT EGARTNER/APA