Am Tag nach der Wien-Wahl herrscht Katerstimmung in der FPÖ. Die Freiheitlichen lecken ihre Wunden, die die blaue Bruchlandung hinterlassen hat. Nur ein Drittel der Stimmen aus der letzten Wahl konnte gehalten werden, ein beachtlicher Anteil des freiheitlichen Wahlvolkes hat sich gar nicht erst zu den Urnen aufgemacht.
Die Wien-Wahl markiert den Tiefpunkt, auf den die Freiheitlichen seit Veröffentlichung des Ibiza-Videos zugesteuert sind. Spesenaffäre und Gegenkandidatur durch den Ex-Obmann haben die Fahrt nach unten noch rasanter gestaltet. In Wien beginnt nun die Ursachenforschung, die bei vielen schon wieder abgeschlossen ist – Heinz-Christian Strache. Für seine Schandtaten habe man büßen müssen. In allen anderen Belangen gilt: Die freiheitliche Richtung stimmt. Doch wenige Stunden nach der Wahl werden Stimmen laut, die auch Fehler im eigenen Agieren sehen.
Eine dieser Stimmen gehört Dagmar Belakowitsch. Die blaue Nationalratsabgeordnete bezeichnet das Wahlergebnis im Gespräch mit der Kleinen Zeitung als „dramatisch, das kann man nicht schönreden“. Nun müsse die Partei „schonungslos und ohne Tabus die Ursachen des Debakels aufarbeiten“. Ganz allein Strache dafür verantwortlich zu machen, sei zu wenig. Man müsse sich anschauen, was man selbst falsch gemacht habe.
„Aus meiner Sicht müssen wir uns schon fragen, ob unsere Themengewichtung mit dem Hauptaugenmerk auf Migration nicht falsch war. Dank Corona steuern wir auf Massenarbeitslosigkeit zu, aus meiner Sicht haben wir im Wahlkampf zu wenig Antworten auf die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise geliefert.“
Und wie geht es nach der Wahlschlappe für Spitzenkandidat Dominik Nepp weiter? Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Wiener loben ihn, weil er „Schlimmeres verhindert hat“, und auch in manchen Ländern zeigt man sich positiv überrascht von der Leistung des Ersatzkandidaten. Andere sehen in ihm jedoch eine schlichte Fortsetzung des Systems Strache in Wien. Nepp selbst will dem Vernehmen nach Wiener Chef bleiben und gefällt sich in dieser Rolle.
Kickl: Wir haben uns selbst besiegt
Die Bundespartei will sich Anfang kommender Woche in einem Bundesparteipräsidium mit dem Wahlergebnis und der Frage, wie der angekündigte Wiederaufbau aussehen soll, auseinandersetzen. Klubobmann Herbert Kickl teilte seine Einschätzung bereits via Facebook mit: „Nicht andere Parteien haben uns diesmal besiegt. Die FPÖ selbst hat dieses Geschäft für unsere Gegner erledigt.“ Man müsse nun „wieder zu Kräften“ kommen.
Wie das gelingen soll, darüber denkt Andreas Rabl seit Längerem nach. Der Welser Bürgermeister ist Chef der Reformgruppe, die bereits nach der Schlappe bei der Nationalratswahl eingesetzt worden war. „An unseren Kernwerten Heimat, Integration, Leistung und Sicherheit werden wir nichts ändern, das liegt in unserer DNA. Wir brauchen keine inhaltliche Neuausrichtung.“ Das Reformprogramm sei ohnehin bereits einstimmig angenommen worden. Beim Thema Corona werde man sich aber anschauen müssen, wie man den Umgang der Regierung mit der Krise sachlich diskutieren und kritisieren kann. Der FPÖ-Weg zurück zum Erfolg ist für Rabl gewiss. „Aufstehen, Krone richten und weitergehen.“
Erster Gradmesser für den Erfolg des „Aufstehversuchs“ wird die Wahl in Rabls Heimatbundesland Oberösterreich in einem Jahr sein. Dort liegt die letzte blaue Bastion, Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner sitzt auf einem satten 30-Prozent-Stimmenpolster, den ihm das Flüchtlingsjahr 2015 beschert hatte. Die Frage wird sein, wie viel er davon halten können wird. Er peile 20 Prozent plus an, verkündete er gestern. Gelingen solle das mit Sachpolitik – auch abseits blauer Kernthemen.
Ist Hofer bald Geschichte?
Haimbuchners Name taucht auch auf, wenn über einen möglichen Nachfolger für Parteichef Norbert Hofer spekuliert wird. Die Partei steht zwar hinter Hofer, viele befürchten jedoch, dass sich dieser selbst aus der ersten Reihe zurückziehen könnte. Nicht aus politischem Verdruss, sondern aus gesundheitlichen Gründen. Hofer kämpft seit seinem Paragleiter-Unfall 2003 mit den Folgen. Ein offensichtlicher Nachfolger ist aktuell nicht in Sicht. Zwar stehen Haimbuchner und der steirische Parteichef Mario Kunasek ganz oben auf der Favoritenliste, beide signalisieren jedoch intern, kein Interesse an einem Umzug nach Wien zu haben.
Generalsekretär Michael Schnedlitz könnte zum dritten Favoriten aufsteigen. Der Kickl-Vertraute genießt Rückenwind in den blauen Reihen und würde auch in Doppelspitze mit dem streitbaren Klubobmann Einigkeit garantieren. Er müsse sich jedoch erst beweisen und an seiner Bekanntheit arbeiten, heißt es.
Obmann-Debatten wolle man aktuell ohnehin keine, heißt es aus Wien und dem Bund. Nun gelte es, Vertrauen zurückzugewinnen. Oder wie es ein Funktionär formuliert: „Jetzt kämpfen wir uns einmal aus der Scheiße.“