Von dem Ibiza-Video, das seinen Lebensplan für die nächsten Jahre über den Haufen werfen sollte, hat Norbert Hofer nicht aus der eigenen Partei erfahren – sondern von Sebastian Kurz, jenem Mann, den er nun im Wahlkampf in einer ironischen „Paartherapie“ davor bewahren will, „nach links zu kippen“.
Er erfuhr davon erst in den Morgenstunden des 17. Mai: an jenem Tag, an dem „Süddeutsche“ und „Spiegel“ das Video von den Exzessen Heinz-Christian Straches und Johann Gudenus’ schließlich am Abend veröffentlichen sollten. „Ich hab an diesem Tag in der Früh einen Flug nach Innsbruck vorbereitet“, erzählt Hofer. Damals war er noch Infrastrukturminister und hatte einige Termine in Tirol zu erledigen. Bei den Berechnungen für den Flug – der passionierte Pilot wollte selbst fliegen – bemerkte er, dass Kurz in der vergangenen Nacht mehrmals versucht hatte, ihn am Handy zu erreichen.
„Ein Anruf um Mitternacht, einer um 0.40 Uhr. Ich hab ihm dann gleich ein SMS geschickt, dass ich jetzt erreichbar bin – er hat dann gleich angerufen“, erinnert sich Hofer: Was mach ma jetzt?, wollte der damalige Bundeskanzler wissen – „ich hab ihm gesagt, ich flieg nach Innsbruck. Und er hat gemeint, nein, wegen des Videos. So habe ich das erste Mal davon gehört.“
Was folgte, ist bekannt: Am Abend sah Hofer – plangemäß in Innsbruck – das Video. „Ich war sauer. Richtig sauer, dass es möglich war, dass so was entsteht, dass so was gesagt wird.“ Und noch in dem Moment habe er gewusst, „was jetzt auf mich zukommt“.
Der erfolgreichste Freiheitliche
Spätestens heute, wenn er auf dem Parteitag der Freiheitlichen offiziell zum Nachfolger Heinz-Christian Straches an der Parteispitze gewählt wird, ist klar, was damit gemeint ist: Hofer, 48 Jahre alt und mit seiner Kandidatur zur Bundespräsidentschaft 2016 der erfolgreichste FPÖ-Wahlkämpfer aller Zeiten – er unterlag Alexander Van der Bellen, erhielt aber 2,1 Millionen Stimmen – führt die Partei in die Nationalratswahl und in die folgenden Koalitionsverhandlungen.
Serie: Wahl-Podcast
Es ist ein Bruch gegenüber seinem Vorgänger Strache, der der Partei 14 Jahre lang vorgestanden ist. Wo er immer wieder gepoltert hatte, gibt sich Hofer als ruhig und freundlich, inszeniert sich als Brückenbauer, der die Zusammenarbeit mit anderen Parteien sucht – aktuell mit niemandem mehr als mit Kurz und seiner ÖVP, um die Koalition fortzusetzen, die nach Ibiza zerbrochen ist.
Wie das damit zusammenpasst, dass er und die FPÖ Kurz wenige Tage später gemeinsam mit SPÖ und Jetzt das Misstrauen ausgesprochen haben? „Wenn der FPÖ ein Minister aus der Regierung gekickt wird, kann man nicht davon ausgehen, dass wir umgekehrt allen anderen das Vertrauen aussprechen“, sagt Hofer in Hinblick auf seinen Klubobmann Herbert Kickl, an dessen Position als Innenminister die Koalition zerbrochen war – er weiß, die Partei kann in dieser sensiblen Zeit keinen internen Konflikt brauchen, muss Einigkeit demonstrieren.
Der kleinste gemeinsame Nenner der Rechten
Umso mehr, als die FPÖ heute weit auseinanderliegende Flügel hat: den harten, rechten Kern in Wien und Niederösterreich, der in den Oppositionsjahren gelernt hat, wie viel Erfolg man mit deftigen Ansagen und Attacken haben kann – und einen rechtspragmatischen Flügel in den Bundesländern, wo manche Gefallen daran gefunden haben, in Landesregierungen zu sitzen.
Hofer gilt zwischen diesen Lagern als kleinster gemeinsamer Nenner – nicht zuletzt, weil er ein exzellenter Redner ist, der solche Differenzen mit rhetorischen Techniken wegerklären kann:
Gespaltene Flügel? „Freiheit ist unser höchstes Gut, wir sind kein monolithischer Block.“ Aktionen wie das Schild „Ausreisezentrum“, das Kickl an Asylquartieren montieren ließ? „Zunächst muss man sagen, Asyl heißt Schutz auf Zeit.“ FPÖ-„Einzelfälle“ von Unterkunft für die Identitären bis zum „Rattengedicht“? „Was mir auffällt, ist, dass der Begriff Einzelfälle immer mit der FPÖ verbunden wird. Erlauben Sie mir, obwohl ich nicht gerne auf andere Parteien zeige, auf die SPÖ zu schauen ...“
Und was kommt nach der Wahl? „Sollte die Koalition fortgesetzt werden, werde ich die Regierung nicht nach drei Jahren verlassen, um abermals bei der Präsidentschaftswahl anzutreten“, verspricht Hofer. Langfristig sei sein Plan für nach der Politik jedenfalls, auch hauptberuflich Pilot zu werden, vielleicht sogar Fluglehrer: „Ich hab aber den Verdacht, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis es so weit ist.“
Georg Renner