Die Kleine Zeitung und die Bundesländerzeitungen setzen eigene Akzente. Im September hat sich der Wahlkampf nicht nur ins Fernsehen verlagert, wegen unzähliger Debatten, Duelle, Konfrontationen verlassen die Spitzenkandidaten kaum noch Wien und eilen von Studio zu Studio.
Auf Einladung der Kleinen Zeitung und der Bundesländerzeitungen trafen Sebastian Kurz, Pamela Rendi-Wagner, Norbert Hofer, Beate Meinl-Reisinger, Peter Pilz und Werner Kogler in Salzburg aufeinander – nicht im Studio, sondern im Landestheater, wo die 650 Plätze seit Tagen ausverkauft waren.
Erster Teil der Debatte:
Zweiter Teil der Debatte:
Moderiert von Antonia Gössinger (Kleine Zeitung) und Manfred Perterer (Salzburger Nachrichten) haben sich Kurz & Co. nicht nur mit den aktuellen Aufregern, sondern auch mit Grundsatzfragen, etwa die Entvölkerung des ländlichen Raumes, auseinandergesetzt.
Das Interesse an der Debatte war enorm: Servus TV überträgt die Diskussion zeitversetzt um 20.15 Uhr.
"Ein Stück Aufklärung für Wähler"
Was macht eine gelungene Debatte von Spitzenkandidaten aus? „Es war sehr angenehm, dass Sachthemen auf den Tisch gekommen sind“, erklärt Andreas Koller, stellvertretender Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er und Innenpolitik-Experten der Bundesländerzeitungen haben nach der Debatte eine kurze Analyserunde auf der Bühne des Salzburger Landestheaters eingelegt, Fazit: „Es war ein Stück Aufklärung für Wähler“ – dringend notwendig, denn „der Wahlkampf dauert schon zu lang – die Briten könnten das Unterhaus auflösen und schon am 15. Oktober wählen, und wir schleppen uns schon seit Mai dahin“, findet Koller.
Was die Debatte frisch gemacht hat: Zum einen der Fokus auf Sachthemen, so sind sich die Redakteure einig – zum anderen die Moderation durch Antonia Gössinger (Kleine Zeitung) und Manfred Perterer (SN): Sie hätten die richtige Balance aus „nötiger Strenge und nötiger Gelassenheit“ gefunden, so Kleine-Innenpolitikchef Michael Jungwirth.Zudem hätte das strenge Zeitmangement - zwei Minuten für jede Wortmeldung – dafür gesorgt, dass Hickhack unter den Spitzenkandidaten hintan blieb: „Wenn man weiß, man hat nur wenig Zeit, konzentriert man sich lieber auf die eigenen Standpunkte als auf jene der anderen“, sagt Birgit Entner-Gerhold, Innenpolitik-Redakteurin der Vorarlberger Nachrichten. Deutlich auch , dass nur zwei Parteien – die Grünen mit Klimawandel, die Neos mit Bildung, einen spezifischen thematischen Fokus hätten, sagt Ulrike Weiser von der „Presse“.
Nicht zu kurz gekommen seien aber auch die Charaktere der Spitzenkandidaten. Das sei wichtig, denn „in einer komplexen Gegenwart klammern sich Wähler weniger an Programme als an Personen, so OÖN-Chef Gerald Mandlbauer.
Hauptfrage werde wohl, wer nach der Wahl mit wem könne, schließt TT-Chefredakteur Alois Vahrner.
Die Spitzenkandidaten:
Peter Pilz, Liste Jetzt: Der Desperado
Alles oder nichts, lautet das Motto von Listengründer Peter Pilz. 2017 schaffte er dank der damals selbstzerstörerischen Grünen den Einzug ins Parlament. Aktuell sieht es so aus, dass der 65-Jährige am Tag nach der Wahl seinen Pensionsantrag abschicken kann. Um sich im Wahlkampf Gehör zu verschaffen, stellt die Liste radikale Forderungen auf: Verdoppelung der Mehrwertsteuer auf Nicht-Bio-Fleisch, Entfernung des Kreuzes aus den Amtsstuben, Verbot des politischen Islams.
Beate Meinl-Reisinger, Neos: Premiere für Politprofi
Beate Meinl-Reisinger ist seit Jahren in der Politik, erstmals muss auch sie im Bund Wahlen schlagen. Auch die Neos haben sich zum Umfrageweltmeister entwickelt, am Wahltag bleibt man oft hinter den Erwartungen. Die Ausgangslage ist keine schlechte: Je stärker Kurz nach rechts rückt, umso besser für die pinke Bewegung. Bei TV-Debatten tut sich Meinl-Reisinger als Politprofi sichtbar leichter als Rendi-Wagner. Andererseits hat das pinke Kernthema, die Bildung, derzeit keine Konjunktur.
Werner Kogler, Die Grünen: Der Gewinner
Die Wahlen sind noch gar nicht geschlagen, die Grünen können bereits heute den Champagner einkühlen. Nicht nur wegen des Klimawandels, auch wegen der Schwäche der vormaligen Liste Pilz ist der Wiedereinzug, sofern nicht völlig Unvorhergesehenes passiert, fix. Der Klimaschutz war bei der Wahl 2017 das zehnwichtigste Thema der Wähler, derzeit rangiert es auf Platz eins. Um nicht den linken Flügel vor den Kopf zu stoßen, lässt Kogler völlig offen, ob eine Koalition mit der Kurz-ÖVP vorstellbar ist.
Norbert Hofer, FPÖ: Unrunder Paarlauf
Das Ibiza-Video haben die Freiheitlichen erstaunlich gut überstanden, derzeit läuft es bei den Blauen auch nicht rund. Vor allem ist nicht klar, wer in der FPÖ das Sagen hat: Norbert Hofer und/oder Herbert Kickl. Hofer gibt den Faserschmeichler, Kickl den Scharfmacher, nur eingefleischte Blaue erblicken dahinter eine ausgefuchste Doppelstrategie. Ob Strache wieder eines Tages zurückkehrt, scheint auch nicht geklärt zu sein. Die FPÖ kann nur auf die ÖVP hoffen, sonst drohen fünf Jahre Oppositionsbank.
Pamela Rendi-Wagner, SPÖ: Rote Aufholjagd
Für die SPÖ-Chefin, die erstmals eine Wahl zu schlagen hat, steht viel auf dem Spiel. Sie muss ein achtbares Ergebnis einfahren, sonst sind ihre Tage gezählt. Sollte die SPÖ hinter die FPÖ fallen und erstmals bei Nationalratswahlen auf Platz drei landen, wäre Feuer am Dach. Rendi-Wagner versucht mit bürgernahen bzw. tiefroten Themen zu punkten: Verkürzung der Wartezeit beim Arzt, leistbares Wohnen, Mindestlohn von 1700 Euro, Erbschafts- und Vermögenssteuer. In den verbleibenden Tagen hoffte die SPÖ, den Rekordabstand zu reduzieren.
Sebastian Kurz, ÖVP: Platz eins, aber was dann?
Sofern nicht völlig Unerwartetes passiert, hat Sebastian Kurz den Wahlsieg in der Tasche. Auch wenn es in der ÖVP derzeit unrund läuft: Zu groß ist der Vorsprung auf die Zweitplatzierten. Spannender als der türkise Wahlausgang ist die Frage, mit wem Kurz künftig koalieren will. Paradox: Kurz hat vielleicht vier bis fünf Optionen, aber keine ist so richtig vorstellbar. Rückkehr zur Großen Koalition? Wieder mit der FPÖ? Kurz und die Grünen? Ein flotter Dreier? Minderheitsregierung?