Ein Dirndl!? Nein, so etwas besitzt Ulrike Lunacek nicht. „Ich habe nur eines von meiner Mutter, aber das passt mir nicht“, sagt sie leicht verlegen. Außerdem zieht sie im Wahlkampf immer weiße Oberteile an – ein vom Wahlkampfteam ausgeheckter Gag zur Wiedererkennung.
Die grüne Spitzenkandidatin steht mitten im Trubel des „Aufsteirern“-Volksfestes auf dem Grazer Hauptplatz. Links spielt die zünftige Musik, rechts gibt es Würstel und Bier. Mit ihrer weißen Flanelljacke und der schwarzen Bundfaltenhose leuchtet Lunacek grell heraus aus einem Meer aus Lederhosen, Trachtenjacken und Steirerhüten.
Die ländliche Lebenskultur hält mit Blasmusik, Schlutzkrapfen und Schilchersturm Einzug in die Murstadt und Lunacek hat hier keinen leichten Stand. „Die Grünen? Na, die brauch ma ned“, so und ähnlich reagieren viele Passanten. Einige sind schon recht angeheitert, und die zögerlichen Wahlhelfer der Kandidatin finden kaum Gelegenheit, die leuchtend grünen Wahlbroschüren unters Volk zu bringen.
„Grüß Gott, Frau Lunacek, bei mir sind Sie gerade richtig. Denn ich steh auf der anderen Seite“, betont eine energische Dame. Die Kandidatin ficht das nicht an. Sie ist uneitel genug, um Gemurre zu überhören. Beinahe wirkt sie stolz, der Gegenwind bereitet ihr Genugtuung. Aber ein wenig fremdelt sie schon in dem Lodengetümmel, das sie umgibt: „Ich find’s schön, wenn man Traditionen bewahrt. Aber mit der Tracht werden halt oft in Österreich auf sehr konservative Art Zusammenhänge beschrieben.“
Das sind keine Sätze, mit denen man zwischen Lebkuchenherzen und Zirbenschnaps grüne Mehrheiten organisiert. Da ist der steirische Grünen-Chef Lambert Schönleitner schon ein ganz anderes Naturell: Ausstaffiert mit zünftiger Lederhose und grünem Janker bahnt er der grünen Wahlkampftruppe entschlossen den Weg und platzt fröhlich polternd in die nächstbeste gesellige Runde. „Wo seids ihr her?“ - „Aus Radmer“, sagen die Burschen, die sich an den weststeirischen Sauvignon blanc halten. „Ah, das ist das Ende der Welt im Bezirk Leoben“, erläutert Schönleitner für Lunacek.
Ihr Revier ist gewiss nicht das Regionale, sondern die große weite Welt. Dabei war es ihr ganz anders in die Wiege gelegt: Der Vater war Molkereidirektor in Gföhl im Waldviertel, ein konservativer ÖVP-Bauernbündler, der Karriere im Raiffeisen-Sektor machte. Die letzten Berufsjahre war er Generaldirektor der Raiffeisen Ware Austria. Die Mutter war Lehrerin in Pöggstall und blieb dann zu Hause bei den Kindern.
Als die Lunaceks 1966 nach Wien in den 2. Bezirk zogen, war die damals neunjährige Ulrike unglücklich im urbanen Umfeld. Mit 16 absolvierte sie als Schülerin ein Austauschjahr in Iowa/USA, und dort begann das Interesse fürs Globale: „Wir lernten über Watergate, Vietnam, internationale Abrüstung und die UNO. Und ich schloss Freundschaften in Lateinamerika.“ Deshalb studierte sie dann Spanisch – in Innsbruck, wo sie die Liebe zum Skifahren ausleben konnte.
Zwischendurch trampte die Studentin mit dem Rucksack durch Südamerika, sprach im Chile von Diktator Augusto Pinochet mit Untergrundleuten, studierte in Peru und Bolivien die Unterschiede zwischen Arm und Reich. Eine Freundin blieb ihr später fürs Leben: Rebeca, ihre Lebenspartnerin, stammt aus Peru. Als sich Lunacek als lesbisch outete, erfuhr sie von den Eltern Unterstützung. „Du darfst nicht erpressbar sein, musst dir den Rücken freihalten“, riet der Vater.
Nach Stationen bei einem Pantomime-Theater („Ich wollte einmal weg von Sprache und Politik“) sowie als Dolmetscherin für Flüchtlinge landete sie in der Entwicklungshilfe, fuhr zu den Umweltkonferenzen nach Rio und Kairo. Als es 1995 Neuwahlen gab, entschied sie sich recht spontan für eine Kandidatur bei den Grünen. Der Listenplatz war sicher, die Umfragen verhießen der Partei 10 Prozent. Geworden sind es dann 4,7 – und Lunacek blieb ohne Mandat.
Diesmal könnten 4,7 Prozent womöglich als Erfolg durchgehen. Lunacek steht auf dem Grazer Volksfest vor einem Spirituosenstand, man streckt ihr einen Mariazeller Magenlikör vor die Nase. „Mir ist zwar nicht schlecht, aber ich koste trotzdem“, fügt sie sich ins Unvermeidliche. Immerhin hätten sich einst ihre Großeltern in Mariazell kennengelernt. Schönleitner, der Steirer, ermuntert sie feixend: „Der Kräuterlikör macht uns richtig widerstandsfähig. Da kann uns nichts mehr passieren!“
Zum Glück gibt es auch echte Fans, speziell unter den jungen Festbesuchern. Eine Burschengruppe aus dem Ennstal ist fast ergriffen, weil „so eine Prominente“ das Ennstal persönlich kennt. Ein beleibter Mann mit Struwwelfrisur will ein Autogramm. „Für Jörg“, muss Lunacek schreiben. Eine dunkelhaarige Studentin wartet geduldig auf ein Lunacek-Selfie. „Danke und viel Glück!“, sagt sie.
Dann nähert sich ein großer, etwa 20-jähriger Mann in schwarzer Lederjacke und hellrosa Turnschuhen. Er erkennt die Grüne sofort. „Schock oder Freude?“, fragt ihn die Kandidatin. „Teils, teils“, gibt er zurück. „Ich hab immer die Grünen gewählt. Aber ich finde es blöd, dass sie den Peter Pilz rausgeworfen haben.“ – „Den haben wir nicht rausgeworfen, der ist gegangen!“ Doch der Mann setzt unbeirrt fort: „Ihr seids wirklich wichtig, aber ihr habts euch schon viel selber geschadet, indem ihr zu wenig Strategie reingelassen habts in die Partei.“ Dann sagt er versöhnlich: „Im Europarat finde ich Sie super!“ – „Im Europaparlament“, verbessert Lunacek.
Im Trubel des Abends sind politische Inhalte kaum zu vermitteln, aber Lunacek schlägt sich wacker. Die Kandidatin kauft Keramikschälchen, kostet Heumilchkäse, prägt am Münzstock eine „Zeiringer“-Münze. Dafür muss sie dann ihre Mitarbeiter anpumpen: „Hat wer fünf Euro?“ Sie selbst hat nur die Kreditkarte bei sich – kein optimales Zahlungsmittel für ein Kirtagsfest.
Ein oststeirischer Wirt macht sie dafür beharrlich mit den Vorzügen eines gekühlten Maischetanks vertraut: Mit dem habe er seinem Nachbarn geholfen, nach Hagel und Frost die Weinernte zu retten. „Zusammenarbeit statt Konfrontation, das hamma in der EU auch“, greift Lunacek den Ball auf. „Das will ich vom Europäischen Parlament in den Nationalrat bringen.“