In der „Politik-Trafik“ in Kapfenberg sitzen einige versprengte Aktivisten: Aussteiger, Globalisierungskritiker, Lebenskünstler. Die Kaffeemaschine streikt. Das Lokal mit seinem Flair aus Strickpullovern und Theorielastigkeit gemahnt an die Gründungsspelunken der Grünen vor 40 Jahren.

Das Wort führen politisch Enttäuschte und Suchende. Leute wie der Sigi: aufgewachsen in einer sozialdemokratischen Familie, dann bei den Grünen, dann bei der KPÖ. Und jetzt also Liste Pilz. Wieder ein Neubeginn. Der grüne Sezessionist gilt hier als Ikone der Saison, als „dernier cri“ der politischen Herbstmode.

„Ist euch der Peter überhaupt links genug?“, fragt jemand in die Runde. Der Kandidat selbst, bisher nur als Plakat präsent, erscheint mit einer Stunde Verspätung. Er kommt vom Ruperti-Kirtag in Salzburg und ist euphorisiert. „Wo ich hinkomme – lauter Heimspiele“, erzählt Peter Pilz mit leuchtenden Augen. Jeder wolle mit ihm reden.
Auch jetzt klingelt sein Handy, Pilz blickt kurz aufs Gerät: Rechtsanwalt Alfred Noll. Sein einziger Großspender. „Aber für den hab i jetzt ka Zeit.“ Immerhin muss Pilz noch die FPÖ wegen Geldwäsche beim Staatsanwalt anzeigen und die neuen Eurofighter-Akten lesen: „Wir schicken demnächst die Klage ans US-Justizministerium. Wir werden dem Airbus-Konzern eine Lektion erteilen. Etliche von denen werden sitzen gehen.“

Viel Feind, viel Ehr’ und große Sprüche: Pilz ist in seinem Element. Seit 1986 sitzt er im Nationalrat, doch jetzt gibt er den Außenseiter: Zu oft habe die Politik das Vertrauen enttäuscht, zu oft wurde „alles versprochen und nichts gehalten“. Er spricht leise und bestimmt, die Stimme vermittelt Dramatik: „Das kann eine Demokratie zerbrechen.“
Als Schüler hatte Pilz einen „Hang zu guten Noten“. Heute legt er erkennbar Wert darauf, vieles besser gemacht, früher erkannt, souveräner beurteilt zu haben als andere. Kanzler Kern in Lederhose? „Unfassbar lächerlich.“ Sebastian Kurz? „Der neue Grasser, ich habe die SPÖ vor zwei Jahren gewarnt.“ Die ORF-Wahldiskussionen? „Sie haben den Karpfenteich vor mir als Hecht geschützt.“ Sogar der Bruch mit den Grünen ist eigentlich ein alter Hut: „Schon 1987 hab’ ich bemerkt, dass etwas falsch läuft.“ Vom Erkennen zum Handeln dauerte es dann drei Jahrzehnte.

Später an diesem Tag steht Pilz an der Brüstung der Burg Oberkapfenberg und blickt ins Weichbild seiner Heimatstadt. Die Wege waren kurz, die Identität klar: Geburt im Böhler-Werksspital, dann Böhler-Kindergarten, Böhler-Volksschule. Gewohnt haben sie in der Werkssiedlung, Albert-Böhler-Gasse 13, Mansarde. Der Vater war SPÖ-Vizebürgermeister und Betriebsratsboss im Stahlwerk. Ein Fixstern der örtlichen Nomenklatura. Politik sei „wie Geige spielen“, sagt Pilz: „Ich hatte das Privileg, es von Kind auf zu lernen.“

Im Kindergarten mussten sie bei Tante Ella einmal Puppenkleider nähen. Peter genierte sich, er vergrub die Kleider hinter dem Denkmal von Albert Böhler, dem Erfinder des Böhlerstahls. Dort liegen sie noch heute. „Das war mein erster Genderkonflikt.“

Die echten Zweifel kamen später. Mit 16 hörten sie Jimi Hendrix im Keller, mit 17 sammelten Pilz und Schulfreundin Renée Schröder Unterschriften für das Anti-Bundesheer-Volksbegehren von SPÖ-Dissident Günther Nenning. Schröder, heute eine renommierte Biochemikerin, kandidiert nun für die Liste Pilz in Salzburg.
In den Ferien jobbte Pilz als zweiter Ofenhelfer im Einser-Stahlwerk, holte sich Brandblasen am Vierer-Ofen. „Ich war nie ein Arbeiter, aber ich habe eine Ahnung von schwerer Fabriksarbeit.“ Heute hat er Werksverbot, Wahlkämpfer dürfen nicht hinein.

Also blickt Pilz notgedrungen von fern aufs Gelände und erzählt vom Stahlwerk 6, das einst die Nazis aus dem Boden stampften, um den Kampfpanzer „Tiger“ zu bauen. Der Kandidat schlägt mühelos den Bogen durch die Epochen und übt politische Querfeldein-Kritik. Das „Finalisierungsverbot“ habe der verstaatlichten Industrie lange untersagt, hochwertige Endprodukte herzustellen: „Die ÖVP hat öffentliche Betriebe geschädigt, um die Privatindustrie zu vergolden. Das war vor 50 Jahren nicht anders als heute.“
Und überhaupt: Kapfenberg – das könne man als Sinnbild für die politische Entwicklung von ganz Österreich lesen. Die Böhlerstadt war einst reich, 11.000 Beschäftigte ließen die Steuererträge sprudeln. Die SPÖ hatte bei Wahlen 76 Prozent. Beim Aufmarsch am 1. Mai sprach als Gastredner Willy Brandt.

„Aber auch hier wurde das Vertrauen verspielt“, sagt Pilz. Die Stadt sei ein Hort politischer Intoleranz gewesen. Einmal wurde eine Putzfrau entlassen, weil sie für die KPÖ unterschrieb. Und die SPÖ fälschte regelmäßig Betriebsratswahlen. „110 Prozent Wahlbeteiligung waren ganz normal. Meinen Vater regten nicht die Fälschungen auf, sondern die Blödheit bei der Manipulation.“

Pilz redet sich in Fahrt: „Wir werden zeigen, wie eine andere Art von Politik funktioniert.“ Sein Optimismus grenzt inzwischen an Hybris. „Das Tollste wäre, wenn wir Schwarz-Blau rechnerisch verhindern. Rot-Blau verhindern wir jetzt schon sicher. Da können sich die Roten bei uns bedanken, was wir ihnen ersparen.“ ÖVP-Chef Sebastian Kurz werde „eine Übergangsregierung“ bilden, „weil danach kommen wir“.
Ein Programm im engeren Sinn braucht Pilz dafür nicht. Er verweist auf grüne Wahlkämpfe: „Da ist an den Standln alles weggegangen – Feuerzeuge, Kugelschreiber, sogar vegane Präservative. Nur eines blieb immer liegen: das Programm.“ Sein Programm, das seien die Kandidaten – in erster Linie natürlich Pilz selbst.

Am Abend sitzt er in seiner Almhütte in St. Katharein an der Laming, Fotografieren verboten, die Adresse ist geheim. „Mein Refugium.“ In einem Wandschrank stehen 30 Biersorten, darunter teure wie Hopfen-Fluch aus Franken, aber auch Styrian Ale oder Spitfire aus Manchester. Die linkspopulistische Scottish National Party mit ihrem progressiven Heimatbegriff sei sein Vorbild, nicht Podemos oder Syriza. Ist Pilz also doch ein Populist? „Na, selbstverständlich“, fährt er hoch. Aber im Sinne von Volksnähe, wie sie etwa Antonio Gramsci postulierte. Nachsatz: „Ich hab’ das alles gelesen.“