Es gibt eine Sache, auf die Heinz-Christian Strache ziemlich stolz ist, die aber leider kaum jemand registriert: Er ist der einzige Spitzenkandidat, dessen Name auf den Wahlplakaten nicht aufscheint. „Die anderen wurden oft ausgetauscht, aber mich kennt man“, feixt er beim Vieraugengespräch zwischen zwei Terminen.

Doch es ist kompliziert mit Neu und Alt. Vorgänger Jörg Haider schuf einst das Schmähwort „Altparteien“. Jetzt muss Strache, der seit zwölf Jahren die FPÖ führt und schon seine vierte Nationalratswahl bestreitet, selbst aufpassen, dass er neben der Konkurrenz nicht alt aussieht. Den Doyen kann er nicht spielen, denn er ist ja noch immer Angreifer. Also erklimmt er betont schwungvoll das Podium und sagt: „Ich bin fit wie die Rolling Stones, aber ich bin 48. Ich komme erst ins beste Alter!“
Es ist ein kühler Morgen in Bad Gastein, acht Grad, die umliegenden Gipfel tragen schon Schneehauben. Im pittoresken Merangarten, wo im Sommer die Blasmusik für die Kurgäste spielt, stehen ein paar Dutzend Zuhörer fröstelnd unter den gelb leuchtenden Kastanienbäumen. Der Abstecher ins hintere Gasteinertal ist aufwendig, aber der Kurort ist eine FPÖ-Hochburg, und Strache scheut sich nicht, die langen Wege zu gehen. Wenigstens ist auch das deutsche Fernsehen da, vor dessen Kamera sich der Parteichef bitter beklagt: „Man hat mich jahrelang als Hetzer beschimpft ...“

Die Rolle des geschmähten Außenseiters hat Strache nach wie vor besser drauf als den staatsmännischen Kanzleranwärter. Das mag mit seiner Herkunft zusammenhängen. Das Schicksal hat ihm früh abverlangt, sich gegen Widrigkeiten zur Wehr zu setzen.
Die Kindheit verbrachte Strache im dritten Wiener Bezirk, die Mutter war Alleinerzieherin, ihr Sohn kam schon mit sechs Jahren ins Internat. „Es hat finanziell an allen Ecken und Enden gefehlt“, erinnert sich der FPÖ-Obmann. Mit 14 sollte er auf die Militärakademie gehen, aber er wollte endlich ausbrechen aus den Internatszwängen und setzte sich erfolgreich zur Wehr. Die Lehre als Zahntechniker führte ihn mit 23 Jahren in die Selbstständigkeit. Der Wunsch nach einem Geschichtestudium blieb eine kurze Episode.

Zwei Jahrzehnte später ist Strache heute in zweiter Ehe verheiratet und beherbergt in seinem Haus in Wien sogar einen waschechten Ausländer: Die fast 50 Kilo schwere Dogge „Odi“ wurde von Straches Frau Philippa aus Ungarn geholt. „Das Schönste ist, wenn man abends heimkommt und der Hund einen begrüßt.“

Die Liebe zu Hunden teilt Strache mit ÖVP-Konkurrent Sebastian Kurz. Das hindert den Blauen nicht daran, in seinen Reden oft untergriffig gegen Kurz vom Leder zu ziehen. In Bad Gastein ist die Fangemeinde dankbar für jede Pointe und applaudiert grimmig, als Strache den ÖVP-Chef „Ohrwaschelkaktus“ nennt. Der billige Gag gehört zu seinem Standardrepertoire. Den früheren SPÖ-Kanzler Werner Faymann nennt er „Feigmann“ und äfft, zum Gaudium der Fans, dessen näselnde Sprechweise nach: „Gäänug gäästritten! Gäänug gäästritten!“
Nach 20 Minuten und einem rasch heruntergetrommelten Themenpotpourri (Bargeld-Abschaffung, Türkei, Silberstein, Flüchtlinge) ist der Auftritt schon wieder vorbei. Ortsparteichef Rudolf Mühlberger übergibt zum Dank eine Uhr und Strache drückt aufs Tempo: „So, wer jetzt Selfies will ... Weil wir müssen dann rasch weiter“, treibt er die Zuhörer an.

Aber ein bisserl Tuchfühlung muss sein. Ein jüngerer Mann im Flanelljanker drückt ihm lange die Hand: „Sie sind die letzte Rettung, diese islamische Invasion muss man stoppen!“ Ein anderer übergibt ein Dossier, will über seine Probleme reden. „Wenden Sie sich an unseren Volksanwalt Peter Fichtenbauer.“ Eine Dame will ein Autogramm, bekommt von den FPÖ-Wahlhelfern stattdessen eine vorbereitete Karte. „Die hat er gerade erst unterschrieben“, tröstet man sie.
Strache sei milder geworden, staatsmännischer – das haben ihm viele Beobachter attestiert. Im Fernsehen mag das so rüberkommen. Doch im Finale dieses verrückten Wahlkampfs haut Strache bei seinen Auftritten in Wirtshäusern und auf Marktplätzen mitunter völlig ungehemmt auf den Putz.

Beim „Verwalterwirt“ in Stuhlfelden im Salzachtal drängen sich 200 Menschen in einer dunklen Gaststube. Bier und Zigaretten sind hier Grundnahrungsmittel, dichte Rauchschwaden schlagen aus dem abgewetzten, schmucklosen Saal. Vielen Menschen sieht man an, dass sie körperlich hart arbeiten müssen. Am Pult gleich neben dem Herrgottswinkel steht eine junge Rednerin, die versucht, die Zeit bis zu Straches Ankunft zu überbrücken.
Als der Ersehnte eintritt, erfasst ein Johlen und Raunen die Menge. Doch Strache will jetzt erst einmal eine rauchen: „Habts a Zigarettn für mi ...?“ Dann legt er los: Er werde jetzt „ohne Maulkorb“ sprechen. Die „rechtswidrige Massenzuwanderung“ koste zehn Milliarden Euro, „und ihr müssts es zahlen, das Verbrechen“. Die Zuwanderer würden immer mehr: „Die haben zwar alle keinen Pass, aber jeder hat ein Handy. Dann rufen sie die Verwandten an und sagen: ‚Kommts alle her, weil die sind lustig da in Österreich. Da musst du nix hackeln und kriegst 840 Euro!‘“

Wenn es so weitergehe, gebe es in 20 Jahren drei Millionen muslimische Bürger im Land, heizt Strache seinen Zuhörern ein: „Ihr schaffts euch ab! Ihr verkaufts eure Heimat! Tauschen wir die rot-schwarze Regierung aus, bevor die Bevölkerung ausgetauscht ist!“
Er wolle keine „perversen Debatten mehr in unserem christlichen Land“, lässt er die Zuhörer wissen: „Der Islam gehört nicht zu Österreich, wir wollen keine Islamisierung unserer Heimat.“ Muslimische Kindergärten dürfe es gar nicht geben. Und wem das Kreuz in unseren Schulen nicht passe, „der soll dieses Land verlassen“.

Jetzt mischen sich Rufe in den Applaus: „Bravo!“ „Super!“ Strache wird von der Menge umringt, bahnt sich mühsam den Weg durchs dichte Selfie-Spalier und findet kurz Zeit, um am Stammtisch ein Bier zu trinken. Dann wird er noch einmal ernst und mahnt eindringlich: „Alles, was heute schon in den Städten der Fall ist – da ist es nur eine Frage der Zeit, bis das auch aufs Land kommt. Wir müssen das rechtzeitig abfangen und gegensteuern.“