Einmal noch führte Wolfgang Sobotka den Vorsitz im Nationalrat. Er kam kurz nach 12 Uhr in den noch leeren Plenarsaal, begleitet von einer Mitarbeiterin. Abgesehen vom kurzen Zwischenspiel Elisabeth Köstingers 2017 war Sobotka der erste Nationalratspräsident, der zuvor nie Abgeordneter war. Nicht zuletzt deshalb stand seine Vorsitzführung immer wieder in der Kritik. Und Sobotka ging mit einem weiteren Aufreger, einem 240.000 Euro teuren Kunstankauf zweier Plastiken von Erwin Wurm, den er im Alleingang organisiert haben soll, wie „Newsflix“ berichtet. Diese Möglichkeit hat der Nationalratspräsident – und Sobotka nutzte sie auch.
Kickl appellierte an parlamentarische „Usancen“
Es sind auch diese Befugnisse, die die Wahl des Präsidiums stets umstritten macht, besonders aber diesmal, da die FPÖ als erstmals stimmenstärkste Partei das Anrecht auf diese Position zukommt, die formal zweithöchste in der Republik. Festgelegt ist das nirgendwo, es ist eine Art Gewohnheitsrecht. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl hatte an die Abgeordneten appelliert, den „Usancen“ zu folgen und dies auch begründet: Aktuelle Überlegungen zur Regierungsbildung sollten nicht in die Entscheidung einfließen, durch die gelebte Tradition werde die Wahl „aus dem Parteienstreit“ herausgenommen.
Schließlich erhielt Rosenkranz in einer geheimen Wahl 100 Stimmen der insgesamt 183 Abgeordneten, wobei 20 Abgeordnete ungültig, eine Person gar nicht gewählt hat. Die FPÖ kommt im neugewählten Nationalrat auf 57 Stimmen, die ÖVP, die eine breite Unterstützung signalisiert hatte, auf 51. Da einzelne Stimmen auch aus dem Neos-Klub gekommen sein dürften, dessen Hearing sich Rosenkranz stellte, dürften doch etliche Türkise auf die Wahl von Rosenkranz verzichtet haben.
Kommentar von Walter Hämmerle
„Ein Volk, ein Reich, ein Führer – das hatten wir schon“
Die Debatte zuvor war über weite Strecken weniger hitzig, als die Bewerbung des ehemaligen blauen Klubchefs und Präsidentschaftskandidaten im Vorfeld kommentiert wurde. Deutlich in ihrer Ablehnung waren nur die Grünen – und auch deftig: „Es heißt nicht Kanzlerwahl und schon gar nicht Volkskanzlerwahl, es gibt auch nicht das eine Volk, was soll das sein?“, wetterte Parteichef Werner Kogler. „Ein Volk, ein Reich, ein Führer – das hatten wir schon.“ In den blauen Reihen sorgte das für Aufregung, im Plenarsaal wurde es laut.
Bei Rosenkranz‘ kurzer Rede war es dagegen mucksmäuschenstill. Kein einziger Zwischenruf störte die erste Wortmeldung des neuen Präsidenten, der mit beachtlichen Aussagen aufhorchen ließ. Bisweilen zwischen den Zeilen. „Usancen sind mir wichtig“, sagte er. „Zum Teil müssen sie wiederbelebt werden.“ Das war wohl als zarte Kritik in Richtung seines Vorgängers gedacht, ebenso, dass er bei den Ausgaben stets den Konsens mit anderen Parteien suchen werde. Rosenkranz redete einer Stärkung des Parlaments das Wort – auch budgetär.
Rosenkranz bereit „zur Seite zu treten“
Bei U-Ausschüssen werde er auch beim Anschein der Befangenheit den Vorsitz abgeben, zudem sprach er sich für die Live-Übertragung der Befragungen aus. Auch werde das, was im Haus zur Bekämpfung des Antisemitismus begonnen wurde, „sicher fortgesetzt“. Sollten „Teile der jüdischen Gemeinschaft“ wichtige Veranstaltungen im Parlament wegen seiner Person boykottieren, „so stehe ich nicht an, als Person auf die Seite zu treten. Hier wird es mit meinen Stellvertretern sicher eine Lösung geben“, kündigte Rosenkranz an.
Die Rede wurde nicht nur von den freiheitlichen Abgeordneten mit Applaus bedacht, sondern auch bei den Klubs von ÖVP und Neos, wenn auch verhalten, vereinzelt auch in den Reihen der SPÖ. Umgekehrt hatte die blaue Fraktion den Abschiedsworten von Sobotka kollektiv Beifall versagt.
FPÖ im Plenarsaal isoliert
Überhaupt war der große Graben zwischen der FPÖ und allen anderen Parteien zum Greifen. Als die Klubs zur Sitzung in den Plenarsaal einzogen, einander parteiübergreifend begrüßten und miteinander plauderten, saß die blaue Fraktion ungerührt auf ihren Sesseln. Erst später, während des längeren Wahlvorganges, mischten sich blaue Mandatare, aber auch nur vereinzelt, unter die übrigen Abgeordneten. Kickl blieb durchgehend auf seinem Platz, er unterhielt sich nur mit seinen Sitznachbarn, einmal länger mit seiner neuen Abgeordneten Barbara Kolm.
„Verantwortungsvoll“ sei es deshalb gewesen, dass der Bundespräsident Kickl nicht den Regierungsbildungsauftrag gegeben hat, befand Kogler. „Alle haben gesagt, dass sie nicht mit Ihnen können, nicht mit Ihnen wollen.“ Auch das gelte es in einer Demokratie zu akzeptieren.