Über zwei mächtige Waffen verfügt der Bundespräsident: das öffentliche Wort und der Moment der Regierungsbildung. Die ungeschriebenen Gesetze der Republik wollen es allerdings, dass sein Einfluss bei der Kanzler-Kür umso größer ist, je mehr er sich im Vorfeld aus den aufgeheizten Debatten heraushält und seine Redelust hinter der verschwiegenen roten Tapetentür in der Hofburg auslebt.

Tatsächlich hat sich Alexander Van der Bellen rar gemacht. Schon seit Monaten gilt: keine Interviews! Und bei den wenigen Pflichtterminen auf großer Bühne, also im Wesentlichen bei den Festspielen in Salzburg und Bregenz, hat er sich wortreich bemüht, ja nichts zu sagen, das ihn im Anschluss wieder zum Spielball im Wahlkampf machen könnte.

Die meisten Wahlkämpfe verheddern sich mit Abrechnungen über das Heute und Gestern, während das Morgen meistens nur als Karotte ins Spiel kommt, die den Wählern vor die Nase gehängt wird. Mit einer Ausnahme: Was der Herr in der Hofburg ab dem 30. September machen wird, ist seit der legendären Regierungsbildung nach den Wahlen 1999 ein Fixthema an den Stammtischen der Politikprofis und Parteistrategen.

Nie wieder 1999

Damals wurde Bundespräsident Thomas Klestil die Regie über den Akt der Regierungsbildung von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider aus der Hand genommen. Ein Affront gegen die bis dahin üblichen Usancen – und trotzdem ein einschneidender Präzedenzfall in der Geschichte der Zweiten Republik, der aufzeigt, wie viel Spielraum die Verfassung dem Staatsoberhaupt und den Parteien in der so wichtigen Frage der Regierungsbildung zuweist.

Van der Bellen ist lange genug im Geschäft, um das zu wissen. Zudem hat er mehr Kanzler-Ernennungen und Minister-Angelobungen hinter sich, als er wohl selbst bei Amtsantritt 2017 vermutet hätte.

Machtpolitisch schlägt nach Nationalratswahlen die große Stunde des Bundespräsidenten. Er ernennt den Kanzler und hat dabei formal freie Hand, allerdings muss er die Mehrheitsverhältnisse im Parlament berücksichtigen, andernfalls droht jeder Regierung ein schnelles Ende. Je unklarer die Mehrheitsverhältnisse – oder größer die Distanz zu den politischen Vorstellungen des Staatsoberhaupts –, desto langwieriger der Weg zu einer neuen Regierung.

Aktiv hinter verschlossenen Türen

So stumm und unsichtbar Van der Bellen derzeit nach außen wirkt, so aktiv ist er längst im vertraulichen Hintergrund. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört es in diesem politisch aufgeladenen Jahr, die Gesprächskanäle zu allen Parteien und Akteuren offenzuhalten und möglichst breit zu pflegen. Das gilt auch für die FPÖ.

Vor der Klestil-Falle ist Van der Bellen gewarnt. Ob und wie er sie zu umgehen imstande ist, wird sich zeigen.