Der blaue Bundesparteichef trommelte am Samstagabend die Seinen in der Messe Graz zusammen: Der Startschuss in den Intensivwahlkampf. Wie Reinhold Messner ohne künstlichen Sauerstoff den Mount Everest bezwungen habe, wolle Herbert Kickl die „Grenzen des Möglichen und Machbaren im Politischen weit verschieben“. Grenzüberschreitungen wie im Jänner, als von „Fahndungslisten“ die Rede war, bleiben weitgehend aus.

„Wird Haider übertreffen“

Die überdachte Halle im Freigelände ist gut gefüllt, unter den Beobachtern ist auch Peter Westenthaler. Er kam vom Zweitwohnsitz Saggautal nach Graz, wie lange liegt sein letztes Wahlkampfevent zurück? „Das muss 2006 gewesen sein“, grübelt er. Der Rummel erinnere ihn „an Jörg Haiders Zeiten“, so der Ex-FPÖ/BZÖ-Politiker. Bei der Nationalratswahl aber traue er Kickl zu, „Haider zu übertreffen“. Zuletzt sei der Spitzenkandidat sehr im Kanzler-Stil aufgetreten. Ob er in Graz den Stil ändert?

„Brandmauer gegen unsere Bevölkerung“

Kickl startet freundlich. „Wenn ihr das wollt, erneuern wir Österreich“, schwärmt er von der „positiven Welle“. Mit ihm nahe eine Ära der Wertschätzung, Sicherheit und des Wohlstandes. Österreicher würden sich „verstanden und geborgen“ fühlen. Wie Reinhold Messner ohne künstlichen Sauerstoff den Mount Everest bezwungen habe, wolle er die „Grenzen des Möglichen und Machbaren im Politischen weit verschieben“.

Freilich bekommt die ÖVP bald ihr Fett ab. Man würde „zugespamt mit Zukunftsansagen“. Also fragt er in die Halle: „Herr Nehammer, was haben Sie fünf Jahre lang beruflich gemacht?“ Keiner würde sich „herausstehlen können“. Es sei eine „brandgefährliche Verharmlosung“, wenn Nehammer von einem Schnupfen der Wirtschaft rede. Die „Knieschussaktionen gegen Russland, das geht alles auf ihre Kappe“, geht es auch gegen die Bundesregierung.

„Betreutes Denken“

Wahlempfehlungen von Promis geißelt Kickl als „retro“ und „peinlich. Was soll das sein? Betreutes Denken, betreutes Wählen?“ Darunter seien „viele, die bei Corona auf der Seite des Geldes und Machtmissbrauchs“ gestanden wären, lässt er die Pandemie nicht aus. Die nun auch in Österreich debattierte „Brandmauer“ (gegen Rechts, Anm.) sei eine gegen die Bevölkerung und Demokratie, meint der Blaue.

Kickl: „Wir erinnern uns an die Schikanen, Demütigungen und den Zwang in die Nadel.“
Kickl: „Wir erinnern uns an die Schikanen, Demütigungen und den Zwang in die Nadel.“ © Klz / Ripix

„Das Geld ist da“

Von „glücklichen Familien, gesunden Kindern“ über dem „Ja zu Kindererziehung in der Familie“ und der Forderung der Lehre oder der Volksinitiative: Beim Wahlprogramm strapaziert auch ein Kickl die Geduld der Zuseher. Erst als er ankündigt, die „Mindestsicherung nur mehr an österreichische Staatsbürger auszahlen“, wird das Publikum wieder munter.

Kickl wisse, „Abschieben ist die komplizierteste und teuerste Variante“. Es sei einfacher, dass „sie nicht zu uns kommen.“ Übersetzt: Österreich „ungemütlich machen, nicht unmenschlich“. Man solle erklären, du „gehörst da gar nicht her“.  

Applaus brandet wieder beim Pensionsthema auf: „45 Jahre sind genug.“ Wer ab 60 Jahren bis 65 Jahre arbeitet, solle einen Bonus erhalten. „Das Geld dafür ist da“, auch für eine bessere Pflege und die Kassenärzte.

FPÖ-Publikum auf der Messe
FPÖ-Publikum auf der Messe © Klz / Ripix

Schlagfertig

Als Erster ist der steirische FPÖ-Landeschef Mario Kunasek am Pult. Weniger schlagfertig war aber die Wahlkampfregie. „Der Einmarsch war ohne mich, ich habe länger in der Maske gebraucht“, sagt Kunasek. Der Obersteirer Hannes Amesbauer war ja zur Stelle.

Hannes Amesbauer und FPÖ-Kandidaten vor dem Einmarsch
Hannes Amesbauer und FPÖ-Kandidaten vor dem Einmarsch © Klz / Ripix

Kunasek zeichnet ein düsteres Bild von Österreich: „Öko-Fanatismus, Massenzustrom, Terrorismus, Zweiklassenmedizin, auf die Pensionisten wird nicht geschaut, ...“ Nur mit den Blauen würde es nicht mehr „Zuwendung zu den Asylschwinderln, sondern zu den Österreichern“ geben. Die Wähler dürften sich nicht täuschen lassen, von einem „Nehammer, der die Sicherheitspartei hervorkehrt“. Die Halle wird laut.

Dass er im November Landeshauptmann werden möchte, ist nicht allen Besuchern bekannt. Also wiederholt Kunasek das Nein zum Leitspital („Kein weiteres Zusperren der Krankenhäuser und unserer Gesundheitsversorgung“) und die Kritik an Drexler-VP und Lang-SP, den „Willkommensklatschern von 2015“. Er selbst werde sicher kein „LH der Islamisten, Vergewaltiger und Asylschwindler sein“.

Anna Robosch (r.) und Mitstreiter der SJ demonstrierten nahe der FPÖ-Kundgebung
Anna Robosch (r.) und Mitstreiter der SJ demonstrierten nahe der FPÖ-Kundgebung © KK

Wels, Lebring, Graz

Intensiv ist dieser Wahlkampf längst, auch an diesem Samstag. Während Kickl tagsüber in Oberösterreich mit Manfred Haimbuchner die Welser Messe besuchte, mischte sich Kunasek beim Gady-Markt in Lebring unter die Besucher.

Beide starten aus einer ähnlichen Situation: Im Bund ist die FPÖ in den Umfragen auf Platz 1 einzementiert, in der Steiermark sehen manche Umfragen die FPÖ bei der Landtagswahl (24. November) vorne.
Das aber ist schlecht für die Motivation, die „sicheren Sieger“ erlebten am Wahlabend nicht selten eine böse Überraschung. Also wird von der FP ein offenes Duell, da gegen ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, dort gegen ÖVP-Landeshauptmann Drexler, ausgerufen. Oder wie Kickl später sagt: „Vergesst des alles, diese Zahlen.“

Kunasek: „Haben das bessere Angebot, die besseren Inhalte.“
Kunasek: „Haben das bessere Angebot, die besseren Inhalte.“ © Klz / Ripix

Heißes Pflaster

Graz ist für die Blauen ein heißes Pflaster, wie auch das neue Buch über Kunasek auf einigen Seiten ausführt. Ein Aspekt ist der blaue Finanzskandal, in dem der Spitzenkandidat für die steirische Landtagswahl weiterhin in einem Ermittlungs-Strang als Beschuldigter geführt wird. Ein anderer: die Ibiza-Affäre, die 2019 den geplanten Landesparteitag mit Strache auf der Grazer Messe aus den Angeln hob. „Das war kein besonders prickelnder Parteitag“, so Kunasek.

Rückschau: Kickl beim Grazer FPÖ-Fest mit Mario Eustacchio und Armin Sippel, die beide nach der Gemeinderatswahl zurücktreten mussten
Rückschau: Kickl beim Grazer FPÖ-Fest mit Mario Eustacchio und Armin Sippel, die beide nach der Gemeinderatswahl zurücktreten mussten © Klz/nicholas Martin

Grüne und die „Brandmauer“

Am Dienstag steht FPÖ-Chef Kickl das nächste TV-Duell im ORF bevor: Grünen-Vizekanzler Werner Kogler ist sein Gegenüber. Für Gesprächsstoff ist gesorgt, tags zuvor wollen der Vizekanzler und die grüne Justizministerin Alma Zadic eine „Brandmauer gegen eine rechtsextreme FPÖ“ erläutern.

Hier geht es zum Dossier zur Nationalratswahl und den Kandidaten.