Der blaue Bundesparteichef trommelte am Samstagabend die Seinen in der Messe Graz zusammen: Der Startschuss in den Intensivwahlkampf fällt. Norbert Hofer ist da, auch Susanne Fürst, Dagmar Belakowitsch, Christian Hafenecker und viele regionale Spitzenleute mehr. Wie Reinhold Messner ohne künstlichen Sauerstoff den Mount Everest bezwungen habe, so wolle Herbert Kickl die „Grenzen des Möglichen und Machbaren im Politischen weit verschieben“. Grenzüberschreitungen wie im Jänner, als von „Fahndungslisten“ die Rede war, bleiben an dem Abend aus.

„Wird Haider übertreffen“

Die überdachte Halle im Freigelände ist gut gefüllt, unter den Beobachtern ist auch Peter Westenthaler. Er kam vom Zweitwohnsitz im Saggautal nach Graz. Wie lange sein letztes Wahlkampfevent zurückliegt? „Das muss 2006 gewesen sein“, grübelt er. Der Rummel erinnere ihn „an Jörg Haiders Zeiten“, so der Ex-FPÖ/BZÖ-Politiker. Bei der Nationalratswahl traue er Kickl zu, „Haider zu übertreffen“. Zuletzt sei der Spitzenkandidat sehr im Kanzler-Stil aufgetreten. Ob der Freiheitliche in Graz den Stil ändert?

„Brandmauer gegen unsere Bevölkerung“

Kickl startet freundlich. „Wenn ihr das wollt, erneuern wir Österreich“, schwärmt er von der „positiven Welle“. Mit ihm nahe eine Ära der Wertschätzung, der Sicherheit und des Wohlstandes. Österreicher würden sich wieder „verstanden und geborgen“ fühlen. Wie Messner einst den Mount Everest bezwungen habe, wolle er die „Grenzen des Möglichen und Machbaren im Politischen weit verschieben“.

Freilich bekommt die ÖVP ihr Fett ab. Man würde „zugespamt mit Zukunftsansagen“. Also fragt er in die Halle: „Herr Nehammer, was haben Sie fünf Jahre lang beruflich gemacht?“ Keiner würde sich „herausstehlen können“. Es sei eine „brandgefährliche Verharmlosung“, wenn Nehammer von einem Schnupfen der Wirtschaft rede. Die „Knieschussaktionen gegen Russland, das geht alles auf ihre Kappe“, geht es dann gegen die gesamte Bundesregierung.

„Betreutes Denken“

Wahlempfehlungen von Prominenten (anderer Parteien, Anm.) geißelt Kickl als „retro“ und „peinlich. Was soll das sein? Betreutes Denken, betreutes Wählen?“ Darunter seien „viele, die bei Corona auf der Seite des Geldes und Machtmissbrauchs“ gestanden wären, lässt er die Pandemie nicht aus. Die nun auch in Österreich debattierte „Brandmauer“ (gegen Rechts, Anm.) sei eine gegen die Bevölkerung und gegen Demokratie, wettert der Blaue. Er rechnet mit einem „Mauerfall am 29. 9.“.

FPÖ-Kickl: „Wir erinnern uns an die Schikanen, Demütigungen und den Zwang in die Nadel.“
FPÖ-Kickl: „Wir erinnern uns an die Schikanen, Demütigungen und den Zwang in die Nadel.“ © Klz / Ripix

„Das Geld ist da“

Von „glücklichen Familien, gesunden Kindern“ über dem „Ja zu Kindererziehung in der Familie“ und der Förderung der Lehre bis zur Volksinitiative: Beim Wahlprogramm strapaziert selbst ein Redner wie Kickl die Geduld der Zuseher. Erst als er ankündigt, die „Mindestsicherung nur mehr an österreichische Staatsbürger auszahlen“, wird das Publikum wieder munter. Zehn Live-Kameras übertragen den Auftakt, der Aufwand von „FPÖ TV“ war enorm.

Kickl wisse, „Abschieben ist die komplizierteste und teuerste Variante“. Es sei einfacher, dass „sie nicht zu uns kommen.“ Zuständig wären ohnehin andere, sichere Staaten. Man solle erklären, du „gehörst da gar nicht her“. Übersetzt: Österreich „ungemütlich machen, nicht unmenschlich“.

Applaus brandet wieder beim Pensionsthema auf: „45 Jahre sind genug.“ Wer ab 60 Jahren bis 65 arbeite, solle einen Bonus erhalten. „Das Geld dafür ist da“, auch für eine bessere Pflege und die notwendigen Kassenärzte, ist er überzeugt.

FPÖ-Publikum auf der Messe
FPÖ-Publikum auf der Messe © Klz / Ripix

Massen und Maske

Als Erster ist aber der steirische FPÖ-Landeschef Mario Kunasek am Wort. Kunasek zeichnet ein düsteres Bild von Österreich: „Öko-Fanatismus, Massenzustrom, Terrorismus, Zweiklassenmedizin, auf die Pensionisten wird nicht geschaut, ...“ Nur mit den Blauen würde es nicht mehr „Zuwendung zu den Asylschwinderln, sondern zu den Österreichern“ geben. Die Wähler dürften sich nicht täuschen lassen, von einem „Nehammer, der die Sicherheitspartei hervorkehrt“.

Hannes Amesbauer und FPÖ-Kandidaten vor dem Einmarsch
Hannes Amesbauer und FPÖ-Kandidaten vor dem Einmarsch © Klz / Ripix

Die Halle applaudiert laut, die Übertragung läuft nach Plan. Von einem Hoppala abgesehen: „Der Einmarsch war ohne mich, ich habe länger in der Maske gebraucht“, verrät Kunasek. Aber der Obersteirer Hannes Amesbauer war ja zur Stelle. Für ihn war es am Samstag schon die dritte (Wahl)-Veranstaltung.

Dass Kunasek im November Landeshauptmann werden möchte, ist nicht allen Besuchern bekannt. Also wiederholt Kunasek das Nein zum Leitspital („Kein weiteres Zusperren der Krankenhäuser und Kürzen unserer Gesundheitsversorgung“) und die Kritik an Drexler-VP und Lang-SP, den „Willkommensklatschern von 2015“. Er selbst werde sicher kein „LH der Islamisten, Vergewaltiger und Asylschwindler sein“. Harte Worte, die man vom Steirer im Landtag nicht kennt.

Anna Robosch (r.) und Mitstreiter der SJ demonstrierten nahe der FPÖ-Kundgebung
Anna Robosch (r.) und Mitstreiter der SJ demonstrierten nahe der FPÖ-Kundgebung © KK

Wels, Lebring, Graz

Dieser Wahlkampf ist ohnehin intensiv, auch an diesem Samstag. Während Kickl tagsüber in Oberösterreich mit Manfred Haimbuchner die Welser Messe besuchte, mischte sich Kunasek beim Gady-Markt in Lebring unter die Besucher.

Beide starten aus einer ähnlichen Situation: Im Bund ist die FPÖ in den Umfragen auf Platz 1 einzementiert, in der Steiermark sehen manche Umfragen die FPÖ bei der Landtagswahl (24. November) vorne. Das aber ist schlecht für die Motivation, die „sicheren Sieger“ erlebten am Wahlabend nicht selten eine böse Überraschung. Also wird von der FP ein offenes Duell, da gegen ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, dort gegen ÖVP-Landeshauptmann Drexler, ausgerufen. Oder wie Kickl später sagt: „Vergesst des alles, diese Zahlen.“

„Es wird ein knappes Rennen“, meint FPÖ-Alfred Flandorfer, der von Korneuburg nach Graz gefahren ist. Die ÖVP hole auf, hingegen sei die „SPÖ von der Rolle“. Das „Ziel muss sein, das Beste rauszuholen“, legt sich Hans-Peter Kurz aus Kärnten nicht fest. Die blitzblau-gefärbten Haare deuten aber auf hohe Motivation hin.

Kunasek: „Haben das bessere personelle Angebot, die besseren Inhalte.“
Kunasek: „Haben das bessere personelle Angebot, die besseren Inhalte.“ © Klz / Ripix

Heißes Pflaster

Graz ist für die Blauen ein heißes Pflaster, wie auch das neue Buch über Kunasek auf einigen Seiten ausführt. Ein Aspekt ist der blaue Finanzskandal, in dem der Spitzenkandidat für die steirische Landtagswahl weiterhin (in einem Ermittlungs-Strang) als Beschuldigter geführt wird. Ein anderer Aspekt: die Ibiza-Affäre, die 2019 den geplanten Landesparteitag mit Strache auf der Grazer Messe fast aus den Angeln hob. „Das war kein besonders prickelnder Parteitag“, so Kunasek.

Rückschau: Kickl beim Grazer FPÖ-Fest mit Mario Eustacchio und Armin Sippel, die beide nach der Gemeinderatswahl zurücktreten mussten
Rückschau: Kickl beim Grazer FPÖ-Fest mit Mario Eustacchio und Armin Sippel, die beide nach der Gemeinderatswahl zurücktreten mussten © Klz/nicholas Martin

Grüne und die „Brandmauer“

Am Dienstag steht FPÖ-Chef Kickl übrigens das nächste TV-Duell im ORF bevor: Grünen-Vizekanzler Werner Kogler ist sein Gegenüber. Für Gesprächsstoff ist gesorgt, tags zuvor wollen der Vizekanzler und die grüne Justizministerin Alma Zadic eine „Brandmauer gegen eine rechtsextreme FPÖ“ erläutern.

Hier geht es zum Dossier zur Nationalratswahl und den Kandidaten.