Nancy Pelosi schießt scharf: „Gott segne ihn, den Präsidenten der Vereinigten Staaten - einen völligen Versager!“ Das war 2008, und gemeint hatte die Demokratin damals George W. Bush. Die Frau, die auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Noch-Präsident Donald Trump eingeleitet hatte, wurde nun erneut zur Präsidentin des US-Repräsentantenhauses gewählt. Bei der konstituierenden Sitzung der Kongresskammer erreichte Pelosi mit 216 Stimmen knapp die notwendige Mehrheit zur Wiederwahl für den einflussreichen Spitzenposten. Ihr Herausforderer, der Republikaner Kevin McCarthy, kam auf 209 Stimmen.
Damit bleibt die 80-Jährige nach dem US-Präsidenten und dem Vizepräsidenten weiterhin die mächtigste politische Figur Amerikas.
Pelosi vertritt seit fast 40 Jahren einen Teil San Franciscos im Kongress, seit 2003 ist sie Fraktionschefin der Demokraten im Repräsentantenhaus. 2019 wurde sie zum zweiten Mal auch Vorsitzende der Kongresskammer mit ihren insgesamt 435 Abgeordneten. Pelosi hatte den als „Speaker“ („Sprecher“) bezeichneten Vorsitzendenposten im Repräsentantenhaus bereits von 2007 bis 2011 inne, als allererste Frau.
Die Italo-Amerikanerin, die als Nesthäkchen mit fünf Brüdern in Baltimore aufwuchs, ist seit 1963 mit dem Investmentbanker Paul Pelosi verheiratet, mit dem sie fünf Kinder hat. Politisch geprägt wurde sie von ihrem Vater Thomas D’Alesandro, der dreimal Bürgermeister von Baltimore war. Sie studierte Politikwissenschaft am katholischen Trinity College in Washington, D.C. und schloss ihr Studium dort 1962 mit dem Bachelor ab. In der eigenen demokratischen Partei ist Pelosi nicht unumstritten: Die einen werfen ihr vor, eine „Latte-macchiato-Linke“ zu sein, die keine Ahnung von den Problemen der Arbeiter hat. Für die anderen ist die Katholikin zu links, zu liberal. Doch die neunfache Großmutter ist eine kluge Strategin, die es versteht, Bündnisse zu schmieden, Mehrheiten auszuloten und Kritiker einzubinden – sofern sie es nicht schafft, diese überhaupt zu umgehen.
Nachdem die Demokraten bei der Wahl im November unerwartet viele Sitze im Repräsentantenhaus an die Republikaner verloren hatten, ist die Mehrheit der Partei in der Kammer denkbar knapp geworden. Sie schrumpfte auf aktuell 222 von 435 Sitzen. Mindestens 218 Stimmen sind bei Abstimmungen generell für eine einfache Mehrheit nötig. Zwei Sitze sind aktuell noch unbesetzt - einer wegen eines offenen Rennens, ein anderer wegen des kürzlichen Todes eines neu gewählten Parlamentariers. Bei der Eröffnungssitzung fehlten außerdem mehrere Abgeordnete krankheitsbedingt. Anwesend waren 427 Parlamentarier.
Der Beginn der Legislaturperiode wurde von heftigem Streit über den Ausgang der Präsidentenwahl überschattet. Als erste große Amtshandlung steht dem Kongress am Mittwoch (ab 19.00 Uhr MEZ) eine turbulente Sitzung zur Zertifizierung der Wahlergebnissebevor.
Im Senat entscheidet sich bei den wichtigen Stichwahlen im US-Staat Georgia erst morgen, wer künftig das Sagen in der Kammer haben wird. Zu vergeben sind noch zwei Sitze. Offen ist, ob die Republikaner ihre Mehrheit im Senat halten und Biden als Präsident bei politischen Vorhaben Steine in den Weg legen und seine Personalentscheidungen blockieren können. Sollten die Demokraten beide Sitze erobern, würde es im Senat eine Pattsituation geben, welche die gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris aber von Amts wegen jederzeit zugunsten der Demokraten kippen könnte.