Auch wenn das Rennen um die US-Wahl weitergeht, Ryan Burge ist ganz sicher: Katholiken haben eine zweite Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident verhindert. "Religion hat eine große Rolle gespielt", erklärte der Politikwissenschaftler an der Eastern Illinois University dem Online-Portal "Crux" - "besonders unter weißen Katholiken".
Staaten zwischen Great Lakes und Apalachen
Als Zentrum der Wählerverschiebungen macht der Experte für Wechselwirkungen zwischen Religion und Politik den sogenannten "Rostgürtel" der USA aus: ein halbes Dutzend traditioneller Industriestaaten zwischen den Great Lakes und den Apalachen. Hier stellen weiße katholische Arbeiter eine große Wählergruppe. Die "Rostgürtel-Katholiken" verhalfen Trump zu seinem überraschenden Wahlsieg 2016.
Die Auszählung der Stimmen läuft zum teils noch. Aber diesmal scheint Trump in drei dieser Staaten - Wisconsin (25 Prozent Katholiken), Michigan (18 Prozent) und Pennsylvania (24 Prozent) - so knapp zu verlieren, wie er sie vor vier Jahren gewonnen hatte. Und einiges spricht dafür, dass Teile der katholischen Bevölkerung Trump den Rücken gekehrt haben. Der Präsident hatte offensiv um katholische Stimmen geworben - und dabei wohl nur die Konservativen mobilisieren können.
Dass sich die Ergebnisse von Michigan und Wisconsin diesmal umgekehrt haben, könnte mit Verschiebungen bei den katholischen Wählern zusammenhängen. In Pennsylvania zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab. Der Politologe Burge vermutet, dass Trump zwischen sechs und acht Prozent unter weißen Katholiken verloren hat. Die gleiche Wählergruppe verhalf Trump im Rostgürtel damals noch zu 59 Prozent der Stimmen - und deklassierte Hillary Clinton, die mit 23 Punkten meilenweit zurücklag.
Auch in Arizona im Südwesten spielen die Katholiken eine Rolle. Fast ein Drittel der Bevölkerung gehört dort der katholischen Kirche an. 2016 setzte sich dort Trump durch - und liegt nach Stand der Auszählung derzeit knapp hinter Biden. Von den 6,3 Millionen Einwohnern sind rund 30 Prozent aus Lateinamerika stammende "Hispanics" - die überwiegend katholisch sind.
Burge bezieht sich bei seinen Schätzungen auf Stichproben bei landesweiten Nachwahlbefragungen, die größere Bevölkerungsgruppen umfassen. Sie sehen Biden mit 52 zu 48 Prozent vor Trump - ein knappes Ergebnis, aber eine glatte Umkehrung des Resultats von 2016. In welchem Ausmaß sich katholische Wähler umorientiert haben, lässt sich in der Gesamtschau allerdings noch nicht genau sagen: Die Nachwahlbefragungen fallen extrem unterschiedlich aus.
"Washington Post" hat etwas andere Sicht
Die "Washington Post" sieht Trump bei den katholischen Wählern mit 51 zu 47 Prozent als Sieger - was weit vom Ergebnis der "New York Times" entfernt liegt, die den Präsidenten mit 62 zu 37 Prozent Katholiken vor Biden sieht. Noch stärker der Unterschied bei ABC: Der TV-Sender verzeichnet zwei Drittel katholische Stimmen für Trump und nur ein Drittel für den Katholiken Biden. Einiges spricht freilich eher dafür, dass die Katholiken, wie in der Vergangenheit, für den späteren Wahlsieger gestimmt haben.
Für die Evangelikalen, Trumps treue Anhänger, scheinen bereits plausiblere Informationen vorzuliegen. Laut unterschiedlichen Schätzungen erhielt der Präsident von ihnen 76 bis 78 Prozent der Stimmen. Auch das womöglich eine Verschiebung mit Folgen: Nach den 81 Prozent von 2016 könnten Evangelikale und Katholiken Trump die Mehrheiten im Rostgürtel gekostet haben.
Angesichts des knappen Rennens in Pennsylvania beschwört die spirituelle Beraterin des Präsidenten, Paula White, Trumps Sieg wie ein Mantra. In einer mittlerweile schon millionenfach geklickten Predigt fleht die Predigerin des "Wohlstand-Evangeliums" immer wieder und scheinbar ekstatisch: "Ich höre den Klang des Sieges!" Und White weiß schon mehr als wir alle: "Der Herr sagt, es ist getan."