In der Hoffnung auf eine Fortsetzung des wirtschaftspolitischen Status Quo in den USA decken sich weitere Anleger mit Aktien ein. "Mit einem Biden-Sieg und einer republikanischen Mehrheit im Senat wird die neue Regierung Schwierigkeiten haben, viele ihrer geplanten Programme zu verabschieden", sagte Rich Weiss, Chef-Anleger beim Vermögensverwalter American Century. "Dies ist aus Sicht des Marktes das 'beste' Ergebnis, da es die größte Stabilität verleiht."
In Zahlen gegossen bedeutet das: Der DAX legte am Donnerstag 1,5 Prozent auf 12.507 Zähler zu, der EuroStoxx50 kletterte um 1,3 Prozent auf 3.206 Punkte.
Joe Biden, dem Herausforderer von US-Präsident Donald Trump, fehlen im Wahlgremium nur noch wenige Stimmen für einen Einzug ins Weiße Haus. Seine Demokraten verfehlten jedoch ihr Ziel, neben dem Repräsentantenhaus auch im Senat die Mehrheit zu erringen. Damit seien Vorhaben wie eine strengere Regulierung oder Steuererhöhungen vom Tisch, sagte Fondsmanager Michele Pedroni vom Vermögensverwalter Decalia. Allerdings würden die erhofften zusätzlichen Hilfen zur Abfederung der Coronavirus-Folgen geringer ausfallen als gedacht.
Notenbank springt ein
Hier werde aber die US-Notenbank in die Bresche springen, betonte Chris Beauchamp, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses IG. "Die Fed wird ihre Wertpapierkäufe wohl mit einem matten Seufzer ausweiten müssen, um die Zeit zu überbrücken, bis ein Hilfspaket der Regierung verabschiedet ist." Die Notenbank werde am Donnerstag aber noch nicht aktiv werden, prognostizierte Dirk Steffen, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank. Ähnlich wie die Europäische Zentralbank (EZB) werde sie die Tür für neue Geldspritzen im Dezember aufstoßen.
Dies setzte der Weltleitwährung erneut zu. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, fiel um 0,8 Prozent. Im Gegenzug gewann der Euro ein Prozent auf 1,1843 Dollar. Gleichzeitig deckten sich Anleger mit Gold ein, das sich um 1,5 Prozent auf 1930 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) verteuerte. Das Edelmetall dient häufig als Absicherung gegen Inflation.
Warnung vor Bürgerkrieg
Einige Börsianer warnten allerdings davor, angesichts des knappen US-Wahlausgangs auf eine reibungslose Machtübergabe zu vertrauen. Trump werde sich verbissen an die Macht klammern, prophezeite Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. "Wir stehen am Rande eines Bürgerkrieges und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Trump die Pforten hierfür öffnet."
In mehreren US-Städten zogen sowohl Trump- als auch Biden-Anhänger auf die Straßen, einige von ihnen mit Waffen. Gleichzeitig brachte Trump seine Anwälte in Stellung, um die laufende Auszählung in einigen Bundesstaaten zu stoppen oder um eine Neuauszählung durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund flüchteten einige Investoren in "sichere Häfen" wie Staatsanleihen. Dies drückte die Rendite der zehnjährigen Bundestitel auf bis zu minus 0,658 Prozent. Ihre Pendants aus Italien rentierten mit plus 0,607 Prozent zeitweise so niedrig wie noch nie.