Im Morgengrauen, als noch im ganzen Land ausgezählt wurde, hatte Donald Trump den wohl denkwürdigsten Auftritt seiner letzten vier Jahre im Weißen Haus. Unter den Klängen von „Hail to the Chief!“ trat Amerikas Präsident vor die Kameras, bezichtigte die Demokraten des Wahlbetrugs und rief sich wie ein südamerikanischer Junta-General ohne Umschweife selber zum Sieger aus.
In der gespenstischen Szene wurden noch einmal wie unter einem Brennglas die Defizite des Mannes sichtbar, der wie kaum ein Präsident der jüngeren Vergangenheit Amerika geformt hat. Die Weigerung, sich demokratischen Regeln zu beugen, seine kalte Verachtung für den Rechtsstaat und die dreisten Lügen, das alles hat Trumps Fans nie gestört. Im Gegenteil. Je vulgärer der Präsident sich gab, umso begeisterter wurde ihm das als authentisches Aufbegehren gegen die Eliten ausgelegt. Doch bei der schamlosen Delegitimation von Millionen Briefwahlstimmen verweigerte ihm sogar der unerschütterlich treue Vize Mike Pence die Gefolgschaft.
Und dennoch: Selbst wenn es diesmal für Trump nicht reichen sollte: Wie er mit seinem unbeirrbaren Siegeswillen, seiner rücksichtslosen Tatkraft und seinen famosen Entertainerqualitäten eine von den Demoskopen prognostizierte Niederlage am Ende noch in eine Zitterpartie für den als haushohen Favoriten gesetzten Demokraten Joe Biden verwandelt hat, das ist zweifellos die eigentliche Sensation dieser Wahl.
Weder das verheerende Missmanagement in der Coronakrise noch die moralischen Vorbehalte noch die veröffentlichte Meinung vermochten Donald Trump in den Augen der einen Hälfte des Landes wirklich etwas anzuhaben. Ja, indem er die Polarisierung zur obersten Maxime erhob, hat er das Amerika der Underdogs und Abgehängten in Wahrheit noch enger an sich gebunden.
Gegen das Naturschauspiel Trump blieb der brave Joe Biden blass. Vielleicht war aber genau das seine Stärke. Denn die andere Hälfte der Nation ist Trumps überdrüssig. Wie diese zwei Amerikas je wieder zueinanderfinden können, ist ungewisser denn je.