Nach der Wahl ist vor der Wahl. Selten trifft dieser oft zitierte demokratiepolitische Leitsatz besser zu als auf diese Präsidentschaftswahl. Wer eine klare Richtungsentscheidung in der amerikanischen Politik erwartete, wurde enttäuscht. Zwar war der Demokrat Joe Biden bei Redaktionsschluss am Mittwochabend nach wie vor Favorit für das Amt des nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Ein starkes Mandat zum Regieren wird Barack Obamas einstiger Vizepräsident aber wohl nicht erhalten. Denn der von vielen Demokraten ersehnte Erdrutschsieg für die Demokraten blieb trotz einer Rekordwahlbeteiligung von über 160 Millionen Stimmberechtigten – der prozentual höchsten seit 120 Jahren – aus.
Die Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung verpuffte in der Wahlnacht mit Donald Trumps Sieg im wichtigen „Swing State“ Florida, wo sich kubanischstämmige Wähler im bevölkerungsreichen Süden des Bundesstaates mehrheitlich für den Republikaner entschieden. Die Unterstützung für die Trump’sche Politik durch Latinos war auch in anderen Teilen des Landes größer als erwartet. Der amtierende Präsident gewann sogar leicht bei afroamerikanischen Wählern dazu. Zusätzlich konnte Trump seine politische Basis, primär weiße, männliche Wähler aus dem Arbeitermilieu trotz Schwächen in einigen Vorstadtbezirken (den „Suburbs“) festigen. Und nicht zuletzt vermochten es bei den Kongresswahlen gleich mehrere ihm ergebene Kandidaten, wie der Senator Lindsey Graham in South Carolina oder Joni Ernst in Iowa, sich gegen demokratische Herausforderer durchzusetzen.
All das hat weittragende Konsequenzen für die Zukunft der Republikanischen Partei und der USA insgesamt. Die Resultate der Wahl legen nahe, dass Trump kein Einzelphänomen ist und es eine breitere kontinuierliche Unterstützung einer durchaus diversen Wählerschicht für seine Politik gibt als allgemein angenommen. Zwar scheint Trump persönlich relativ unpopulär zu sein. Seine populistische Politik kommt aber bei Teilen der Bevölkerung nach wie vor ungemein gut an.
Demokratische Strategen sollten vor allem der relativ hohe Prozentsatz an Latinowählern nachdenklich stimmen, die Trump ihre Stimme gegeben haben. Obwohl George W. Bush im Wahlkampf 2004 noch 40 Prozent dieser Gruppe für sich gewinnen konnte und Biden ganze 70 Prozent der Stimmen erhielt, führt Trump trotz abgeschlagenen 30 Prozent unter den am schnellsten wachsenden Wählerschichten der Latinobevölkerung, den Arbeitern und den Religiösen.
Doch auch die republikanische Parteielite hat guten Grund, sich zu sorgen. Der unter republikanischen Wählern offenbar nach wie vor anhaltende Enthusiasmus für Trump stärkt seine ideologische Position innerhalb der Partei. Die Wahl macht deutlich, dass die Trump’sche Politik auch in Zukunft Teil des amerikanischen politischen Systems und Diskurses bleiben wird. Daher wird es eine Restauration der Partei, von denen vor allem die in Washington, DC, ansässige republikanische Parteielite träumte, nach diesem Urnengang mit Sicherheit nicht geben.
Mit Restauration ist in erster Linie eine Rückkehr zu den alten republikanischen Prinzipien Freihandel, „small government“, die USA als globale Ordnungsmacht, internationale Allianzen und eine ausgeglichene Budgetpolitik gemeint. Es bedeutet aber auch innerparteilich eine Wiederauflage der sogenannten „Fusionsdoktrin“ innerhalb der Partei, die darauf abzielte, ultrareligiöse Wähler und den liberalen republikanischen Wirtschaftsflügel unter einem gemeinsamen Banner zu vereinen. Die Regierungen von Ronald Reagan und George W. Bush sind hierfür gute Beispiele. Ob eine republikanische Partei, durchzogen von einer Trump’schen Antiglobalisierungspolitik sowie Protektionismus jedoch für die Wirtschaftselite langfristig Heimat bleiben wird, ist sehr fraglich.
Solche Szenarien sind freilich nichts Neues. Sie wurden schon nach Trumps Sieg 2016 in den Raum gestellt. Doch die nächsten vier Jahre werden anders sein. Bei ihrer Übernahme des Weißen Hauses 2017 mussten Trump und sein Team sich noch auf die traditionelle republikanische Bürokratie und auf Experten von DC-ansässigen Institutionen verlassen, um das Land zu regieren. Das Resultat: Trumps Politik, ob wirtschaftlich oder sicherheitspolitisch, hatte trotz der Rhetorik des Präsidenten einen sehr republikanischen Einschlag. Man denke zum Beispiel nur an die letzte Steuerreform, die Unternehmen auf Kosten der Arbeitnehmer begünstigte. Auch wurden die großen Infrastrukturprojekte des Präsidenten von der Partei mehrheitlich abgelehnt. Trump konnte auch nicht seine Ankündigung, amerikanische Truppen aus Asien, Europa und dem Nahen Osten abzuziehen und aus der Nato auszutreten, verwirklichen.
Jetzt haben die Trumpianer aber vier Jahre Zeit, sich in Think-Tanks und anderen Institutionen in Washington einzunisten oder ihre Ideen mit traditionellen republikanischen Agenden zu fusionieren. Sollten die Republikaner 2024 die Präsidentschaftswahl, womöglich mit Nikki Haley, Mike Pompeo oder Tom Cotton an der Spitze (vielleicht sogar mit Donald Trump Jr.) für sich entscheiden, wird ihnen im Gegensatz zu 2016 ein loyaler Kader für die Regierungsgeschäfte zur Verfügung stehen. Das Ergebnis wird eine mehr rechts gerichtete, nationalistische, populistische Politik der USA sein.
Die Grand Old Party würde in den nächsten vier Jahren alles daransetzen, eine Biden-Regierung zu schwächen und zu blockieren, wo sie nur kann. Mit einer anhaltenden republikanischen Mehrheit im Senat (die als relativ wahrscheinlich gilt) würde sie damit leichtes Spiel haben. Biden würde nur eine legislative Minimal-Agenda durchbringen können und hauptsächlich durch sogenannte „Executive Orders“ (Dekrete) regieren, die keine Zustimmung des Senats benötigen. Damit würde sein Gestaltungsspielraum in den nächsten vier Jahren relativ eingeschränkt bleiben. Für Europa und Österreich hieße das, dass die nächsten vier Jahre wirtschafts- und sicherheitspolitisch die große Ruhe vor einem neuerlichen Trump’schen Sturm wären.
unserem Korrespondenten Franz-Stefan Gady aus New York