Eines jedenfalls ist in dieser US-Wahlnacht klar: Der von Gegnern von Präsident Donald Trump so dringend erhoffte Durchmarsch seines Herausforderers Joe Biden fällt aus. In vielen Bundesstaaten ist das Rennen zunächst zu eng, als dass ein Gewinner ausgerufen werden könnte. Womöglich wird es Tage dauern, bis bei dieser Schicksalswahl ein Sieger feststeht.
Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Punkte:
VERZÖGERUNG WEGEN BRIEFWAHLSTIMMEN
Für Trump ist das eine Steilvorlage. Schon seit Monaten fordert der Präsident, dass das Resultat in der Wahlnacht feststehen muss, "nicht Tage, Monate oder sogar Jahre später!" Für die Verzögerung bei der Auszählung dürften vor allem die vielen Briefwahlstimmen verantwortlich sein. Wie ein Mantra predigt Trump, dass Briefwahl zu Wahlbetrug führe, obwohl es dafür keine Beweise gibt, im Gegenteil - Experten zufolge ist sie sicher. Der wahre Hintergrund dürfte sein, dass Umfragen zufolge deutlich mehr Demokraten als Republikaner per Briefwahl abstimmen wollten - und diese Briefwahlstimmen werden in einigen wichtigen Bundesstaaten später gezählt
DAS TRUMP-TEAM MACHT STIMMUNG
Ein frühes Ende der Auszählung wäre vermutlich also von Vorteil für Trump, der bis zuletzt nicht zusagen wollte, ob er ein Wahlergebnis anerkennen würde - und der in den vergangenen Wochen immer wieder die Rechtmäßigkeit der Wahl in Zweifel zog. Der Präsident schickt um 0.49 Uhr einen Tweet an seine mehr als 87 Millionen Follower, in dem er behauptet, weit vorne zu liegen - "aber sie versuchen, die Wahl zu stehlen. Das werden wir niemals zulassen." Worauf seine Behauptung beruht, lässt er offen.
Auch Trumps Wahlkampfteam verschickt in der Nacht bereits E-Mails an Anhänger, in denen Stimmung gemacht wird. Mit Blick darauf, dass die Wahlergebnisse in den USA üblicherweise auf Basis der Prognosen großer Medienhäuser entschieden wird, heißt es in einer der Botschaften: "Die Fake-News-Medien und ihre demokratischen Partner werden sich weigern, einen Gewinner auszurufen. Sie werden alles unternehmen, um uns den Sieg vorzuenthalten."
BIDEN EBENFALLS SIEGESSICHER
Auch Biden ist weit davon entfernt, klein beizugeben. "Wir glauben, dass wir auf dem Weg sind, diese Wahl zu gewinnen", sagt er am frühen Mittwochmorgen in seinem Heimatort Wilmington im US-Bundesstaat Delaware. "Ich oder Donald Trump können nicht verkünden, wer die Wahl gewonnen hat. Das ist die Entscheidung der Bürger Amerikas. Aber ich bin optimistisch, was das Ergebnis angeht"
HAT BIDEN FEHLER IM WAHLKAMPF GEMACHT?
Angesichts des vermutlich knappen Ergebnisses dürfte sich nun auch die Frage stellen, ob Biden (77) im Wahlkampf genug gegeben hat. Während Trump wie ein Wirbelwind durch die "Swing States" tourte - also jene Bundesstaaten, in denen weder die Republikaner noch die Demokraten klar vorne lagen -, ging es Biden wesentlich ruhiger an. Trump - mit 74 Jahren auch kein Jungspund mehr - trat an manchen Tagen fünf Mal in verschiedenen Bundesstaaten auf. Biden hatte Wahlkampftage ohne einen einzigen Auftritt.
TRUMPS MASSENKUNDGEBUNGEN
Trump trommelte trotz der Pandemie Tausende Anhänger zusammen, oftmals an Flughäfen, an denen die Regierungsmaschine "Air Force One" als eindrucksvolle Kulisse diente. Biden versammelte viel weniger Publikum, er begründete seinen zurückhaltenden Wahlkampf mit Corona-Schutzmaßnahmen. Auch die Pandemie hat nicht dafür gesorgt, dass Biden einen Erdrutschsieg einfahren konnte. Dabei stellt eine Mehrheit der Amerikaner Trump seit Monaten ein schlechtes Zeugnis für sein Krisenmanagement aus. Eine Mehrheit sagt auch immer wieder, dass sie Biden eher zutrauen würde, die Krise zu lösen.
CORONA-PANDEMIE UND DIE WIRTSCHAFT
Nach einer am Wahltag veröffentlichten Umfrage der amerikanischen Nachrichtenagentur AP war das Coronavirus für die meisten Wähler das wichtigste Thema bei der Stimmabgabe. Immerhin vier von zehn Wählern beschäftigte demnach die Pandemie am meisten, die in den USA mehr als 230 000 Menschen das Leben gekostet hat. Das ist ein Indiz dafür, dass es Trumps Bemühungen, das Thema kleinzureden, nicht gefruchtet haben. Allerdings nannten die Wähler in der AP-Umfrage an zweiter Stelle die Wirtschaft das wichtigste Thema - und da trauen mehr Amerikaner auf die Kompetenz Trumps als Bidens.
Wichtig dürfte aber auch eine andere Umfrage sein, die kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde und die Trump in den letzten Wahlkampftagen immer wieder zitierte: 56 Prozent der Amerikaner sagten in einer Befragung des Instituts Gallup, ihnen und ihren Familien gehe es besser als vor vier Jahren - und das mitten in der Pandemie.
LAGEN DIE UMFRAGEN FALSCH?
Auch wenn die Wahl noch nicht entschieden ist - für einen Kantersieg Bidens haben diese Appelle nicht ausgereicht. Der republikanische Senator Lindsey Graham sagte nach einem Telefonat mit Trump in der Wahlnacht voraus, der Präsident werde gewinnen. Graham selber - ein enger Trump-Vertrauter - konnte seinen Senatssitz ebenfalls verteidigen. Er sagte: "An alle Meinungsforscher dort draußen, Ihr habt keine Ahnung davon, was ihr tut."
Das stimmt so allerdings nicht. Die Statistiker der renommierten Webseite FiveThirtyEight hatten Trump vor der Wahl zwar nur eine Chance von zehn Prozent auf einen Sieg ausgerechnet. Sie hatten aber zugleich gemahnt: "Denken Sie daran, dass eine zehnprozentige Gewinnchance keine nullprozentige Chance ist. Sie ist ungefähr so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Innenstadt von Los Angeles regnet. Und, ja, es regnet dort tatsächlich."
Can Merey/dpa